Vieles, das in diesen Tagen von der britischen Hauptinsel kommt, sieht ja auf den ersten Blick vielversprechender aus als beim nochmaligen genauen Hinsehen: Konzepte für den Brexit etwa oder Orangenmarmelade. Beides Dinge, von denen Kontinentaleuropäerinnen und Kontinentaleuropäer eher enttäuscht sind, wenn sie sich ihnen über einen flüchtigen ersten Blick hinaus intensiver widmen. Ganz anders aber sieht es mit mancher Volksweisheit aus. Hier lohnt sich der Import – zur Sicherheit am besten noch bevor die Briten den Binnenmarkt verlassen. Ich mache deshalb gleich den Anfang und importiere für diese Kolumne ein britisches Sprichwort.
Dieser Sprichwort-Import lohnt sich besonders, wenn es um das Wesen der Stadt geht. Immerhin nahmen die Industrialisierung und mit ihr die rasante Entwicklung der modernen europäischen Städte einst im Vereinigten Königreich ihren Anfang. Städte sind seither Modernisierungsmotoren unserer Gesellschaft – in ihrem Inneren (durch städtebaulichen Wandel und wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderung) und auch nach außen (durch ihre Ausstrahlung ins Land).
Und damit sind wir bei dem englischen Sprichwort angekommen, das ich für diese Kolumne importieren möchte, denn es sagt uns, was unsere Städte lebenswert und ihr Wesen ausmacht: People, not houses, make a city – frei übersetzt: Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt. Die Bürgerinnen und Bürger sind es, die ihre Stadt ausmachen und prägen, mit ihrer Einstellung zum gemeinsamen städtischen Leben (bei uns die Meenzer Lebensfreude), mit ihrem Umgang miteinander und mit Besucherinnen und Besuchern von außerhalb (z. B. aus Wiesbaden) und ihrem Einsatz für ihre Stadt, ihre Mitmenschen und ihr Miteinander. Städte leben vom Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger bei der Gestaltung ihrer Zukunft. Und Mainz hat es in all den Punkten besonders gut getroffen: Mainz ist Lebensfreude und gutes Miteinander, Mainz ist europäisch und weltoffen, tolerant und respektvoll und in Mainz engagieren sich die Bürgerinnen und Bürger auf unzählige Arten für ihre Stadt.
Beste Voraussetzungen also, um gemeinsam die Zukunft zu gestalten. Was es dafür vor allem braucht, sind Foren zum gegenseitigen Austausch, Orte an denen die Bürgerinnen und Bürger mit ihren unterschiedlichen Ideen und Wünschen für die Stadtentwicklung miteinander und mit der Verwaltung und den Vertreterinnen und Vertretern des Stadtrates diskutieren und gestalten können. Denn lebendige Städte stehen niemals still, sie sind Orte, an denen stets aufs Neue die Zukunft verhandelt, geplant und gebaut wird.
Die Abstimmung zum Bibelturm hat zwei Dinge deutlich gezeigt: Für die Mainzerinnen und Mainzer (für alle, egal, ob sie für oder gegen den Turm waren) ist die Entwicklung ihrer Stadt sehr wichtig. Sie wollen mitreden und sich einbringen. Mainz liegt den Mainzerinnen und Mainzern am Herzen. Das ist eine gute Nachricht – und es ist nicht in jeder Stadt so. Deshalb gebührt mein Dank allen, die sich am Bürgerentscheid beteiligt haben. Sie alle haben es in dem Wunsch getan, die Entwicklung unserer Stadt positiv zu gestalten.
Gleichwohl hat der Bürgerentscheid gezeigt: Obwohl wir in Mainz mehr als 40 Formen der Bürgerbeteiligung haben, die in der Vergangenheit sehr erfolgreich waren, obwohl wir dank dieser Bürgerbeteiligung mit der Mainzelbahn beispielsweise eines der größten deutschen Straßenbahnprojekte der Gegenwart ohne eine einzige Klage stemmen und zu einem großen Erfolg machen konnten, hat uns im Falle des Bibelturms offenbar das richtige Forum der Bürgerbeteiligung im Vorfeld gefehlt. Das ist sehr schade, weil das Miteinander zur Meenzer DNA gehört, das Gegeneinander aber nicht.
Deswegen wollen wir dafür sorgen, dass wir in Zukunft ganz sicher die passenden Foren und Prozesse zum Austausch und zum gemeinsamen Gestalten unserer Stadt haben. Der Stadtrat hat deshalb noch vor der Sommerpause beschlossen, dass Mainz Leitlinien zur Bürgerbeteiligung bekommt, wie sie zum Beispiel in Heidelberg und Darmstadt schon sehr erfolgreich angewandt werden. Sie sollen innerhalb etwa eines Jahres von einer Arbeitsgruppe entwickelt werden, die zu je einem Drittel aus Bürgerinnen und Bürgern, Mitarbeitenden der Verwaltung, z. B. aus dem Stadtplanungsamt, und Mitgliedern der Stadtratsfraktionen besteht. Die Bürgerinnen und Bürger werden dabei zufällig aus den mehr als 400 Bürgerinnen und Bürgern ausgewählt, die schon in der Vergangenheit bei den Bürgerforen „Meine Stadt. Meine Ideen“ bzw. „Mein Stadtteil. Meine Ideen.“ mitgemacht haben.
Während die Leitlinien für die Bürgerbeteiligung dem gemeinsamen Gestalten der Stadtentwicklung einen neuen Rahmen geben werden, hat der Stadtrat auch den Start der Arbeitswerkstatt „Modernisierung Gutenberg-Museum“ beschlossen. Starttermin: Ende Juni. In diesen Arbeitswerkstätten wollen wir nun mit voller Kraft und gemeinsam für eine gute Zukunft unseres Weltmuseums arbeiten. Das englische Sprichwort vom Anfang formuliert die Hoffnung und den Auftrag, die wir an diese Arbeitswerkstätten knüpfen: Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt. Frei übersetzt: Das Gutenbergmuseum kann und wird auch ohne den Bibelturm eine gute Zukunft haben. Was es dafür braucht, ist das gemeinsame und kraftvolle Engagement der Mainzerinnen und Mainzer für den größten Sohn ihrer Stadt.
Der Bürgerentscheid hat auch gezeigt, dass den Mainzerinnen und Mainzern ihre Plätze als lebendige Mittelpunkte einer lebendigen Stadt Herzensangelegenheiten sind, dass der öffentliche Raum zum Austausch und zur Begegnung wie am Liebfrauenplatz ihnen besonders wichtig ist. Deswegen ist es gut, dass wir den öffentlichen Raum in den vergangenen Jahren mit einem Investitionspaket aufwerten konnten und weiter aufwerten, um das uns andere Städte nur beneiden können: Die Bürgerhäuser, die Bahnhofstraße und der Münsterplatz, der Hopfengarten, die Boppstraße und die große Langgasse, bei deren Umgestaltung auch ein neuer Platz entsteht – sie alle sind Beispiele für neuen und schöneren öffentlichen Raum, der in Mainz entsteht oder entstanden ist, für Orte der Begegnung und des Stadterlebens und für Orte, die uns einladen, das Leben in Mainz gemeinsam zu gestalten.
Unser schönes Mainz ist und war schon immer ein Gemeinschaftsprojekt aller Mainzerinnen und Mainzer. Es gilt: Die Menschen, nicht die Häuser machen die Stadt. Gestalten wir unsere Stadt und unser Weltmuseum meenzerisch miteinander. Ich freue mich darauf!
Ihr
Michael Ebling