Liebelle: Erste Forschungsergebnisse belegen großen Bedarf

Hechtsheim – Zwei Jahre nach der Eröffnung der bundesweit einmaligen Beratungsstelle zu Sexualität und geistiger Behinderung „Liebelle“ zogen die Kooperationspartnerinnen eine erste Bilanz. Die Liebelle ist Anlaufstelle für Menschen mit geistiger Behinderung, deren Angehörige und für Fachkräfte.

Die Nachfrage von Menschen mit geistiger Behinderung ist riesig, sei es nach individueller Beratung oder nach Seminaren. Sie kommen beispielsweise mit Fragen zur Partnerschaft oder mit dem Wunsch, den eigenen Körper besser kennenzulernen. Auch das Thema „Nein“-Sagen war ihr sehr wichtig, berichtet Helga Wingenfeld, Teilnehmerin am Kurs „Ich und die Liebe“. Für Dr. Gisela Hilgefort von der Kooperationspartnerin pro familia Mainz zeigt dies, wie wichtig es ist, ein ständiges ortsfestes Angebot bereitzuhalten: „Die Wahrnehmung ist viel stärker als bei einzelnen Angeboten, wie wir sie schon seit langem anbieten.“

Fehlendes Wissen über das Flirten, den Umgang mit einem geliebten Menschen oder auch vermeintlich banale Aufklärungsthemen führt Prof. Dr. Svenja Heck von der Hochschule Darmstadt unter anderem darauf zurück, dass die Themen Sexualität, Liebe und Partnerschaft in der Ausbildung von Fachkräften nicht vorgesehen sind. Prof. Heck begleitet das Projekt wissenschaftlich. „Am meisten hat uns überrascht, dass Fachkräfte nahezu komplett auf sich selbst gestellt sind“, sagt sie. „Ihnen fehlt ein haltgebender Rahmen, in dem sie das Thema erarbeiten und reflektieren können.“ Dies müsse in Zukunft bereits in die Ausbildung aufgenommen werden, denn im Beruf sind die Fachkräfte fast täglich mit entsprechenden Fragen konfrontiert.

Allein gelassen sind auch Angehörige von heranwachsenden oder erwachsenen Menschen mit Behinderung. „Viele fühlen sich über den anstrengenden Alltag hinaus von weiteren Themen ganz einfach überfordert“, berichtet Petra Hauschild (in.betrieb), eine der Initiatorinnen der Liebelle. „Unterstützende Angebote gibt es schlicht nicht.“ Allerdings, ergänzt Lotta Brodt, Beraterin in der Liebelle, ist bei diesem Personenkreis die Nachfrage noch relativ gering. „Viele Eltern wollen ihre Kinder schicken“, stellt sie fest. Allerdings sei es genauso wichtig, dass Angehörige für sich selbst Hilfe in Anspruch nehmen oder sich mit anderen austauschen können. Für Eltern sei etwa die Sexualität ihrer Kinder oft problembehaftet, wo diese einfach nur wissbegierig sind, ergänzt ihr Kollege Lennart Seip.

Ein Jahr vor Auslaufen der Projektgelder, die die Aktion Mensch zur Verfügung stellt, hat sich gezeigt, dass Angebote wie die Liebelle unverzichtbar sind. Über 200 Beratungstermine und 14 Gruppenveranstaltungen mit 180 Teilnehmenden sprechen eine deutliche Sprache. Anfragen kommen aus ganz Deutschland, auch von Organisationen, die ähnliche Beratungsstellen aufbauen wollen. „Wir suchen dringend Geldgeber oder Sponsoren“, bekräftigt Michael Huber, in.betrieb- Geschäftsführer. „Alleine können wir das Projekt nicht tragen.“ Bislang stehen positive Bescheide noch aus, und er richtet auch an Unternehmen den Appell, sich in einer wichtigen Sache zu engagieren.