MAINZ – Er war auch mein Bischof. Am 11. März ist Karl Kardinal Lehmann, der ehemalige Bischof von Mainz verstorben. Seit Dienstag liegt sein Leichnam in der Seminarkirche in der Augustinergasse aufgebahrt. Mit großer Anteilnahme und sehr zahlreich nehmen die Mainzer Abschied.
Das tue ich auch. Im Jahr 2000 kam ich zum Studium nach Mainz: katholische Theologie. Ich hatte zwar davon gehört, aber erst vor Ort bei verschiedenen Gelegenheiten erlebte ich, wie sehr die Mainzer ihren Bischof gemocht haben. Das Eindruckvollste für mich durfte der Applaus gewesen sein, den der Mann Gottes und Fan der 05-er, im Bruchweg-Stadion vor eingien Jahren bekommen hatte.
Eingesetzt in das Amt hatte ihn Papst Johannes Paul II, der polnische Papst, den ich in meiner Jugend ebenfalls erleben durfte. Als junger Messdiener 1983 bei dessen Besuch im schlesischen Sankt Annaberg zum Beispiel. Es war am 21. Juni. Zwei Tage danach ernannte er Karl Lehman offiziell zum Bischof von Mainz. In jener Ära des Kalten Krieges war mir natürlich die zeitliche Nähe der Ereignisse nicht bewusst. Nicht mal im Traum hätte ich damals gedacht, dass ich 33 Jahre später einer Messe für den toten Bischof beiwohnen würde. Jetzt in der vollbesetzten Augustinerkirche, während das Requiem gefeiert wird, fallen mir die beiden Begebenheiten ein.
Die Welt war Anfang der 1980-er Jahre noch anders und Europa geteilt. Ich spüre eine Nähe und Verbundenheit. Lehmann, der Brückenbauer, hat die Auslandsbeziehungen seines Bistums, etwa zur Diözese Oppeln in Polen, in der ich 17 Jahre zu Hause war, gepflegt. Auch finanziell.
Gesehen habe ich den Bischof und späteren Kardinal des öfteren. Ein persönliches Gespräch hat sich bei einer oder zwei Pressekonferenzen auf einige Fragen beschränkt, die er nett beantwortete. An einen Händedruck erinnere ich mich auch.
Jetzt liegt der Mann Gottes auf dem Katafalk aufgebahrt. Ich stehe im hinteren Teil der Kirche, die bis auf den letzten Platz besetzt ist. Aus der Ferne kann ich nur die Umrisse des Leichnams erkennen. Die bischöfliche Kopfbedeckung fällt auf ebenso das violette Messgewand. Doch das Anschauen ist irgendwie unbedeutend.
Diese Zeilen schreibe ich mit Verlaub als Christ. Die Überzeugung, dass er jetzt das Ziel seiner Reise erreicht hat, lässt ein Gefühl von Genugtuung entstehen. Oder ist es Freude? Der Glaube gibt nun mal die Hoffnung auf ein Leben danach.
Lehmanns Tod hat ihn am 4. Fastensonntag ereilt, der in der Liturgie „Laetare“ heißt nach dem Anfang des Eröffnungsverses der Heiligen Messe. „Freue dich, Jerusalem“, es ist ein biblischer Aufruf und eine Ankündigung der Freude nach einer Zeit der Trauer. Dennoch: Die Stimmung in der Kirche ist sehr andächtig. Einzelne Menschen wischen sich mit einem Taschentuch über die Augen. Es tut weh, wenn Menschen gehen.
Wie das Bistum Mainz mitteilte, kann die Bevölkerung bis zum Dienstag, 20. März, persönlich oder während der Gottesdienste Abschied nehmen. Die Seminarkirche ist jeweils von 9 Uhr bis zum Ende des täglichen Requiems, das gegen 17 Uhr gefeiert wird, geöffnet.
Als ich die Kirche später verlassen, spricht mich an der Türschwelle ein Mann an: „Ist das die Kirche, in der Bischof Lehmann aufgebahrt ist?“ Ich nicke. „Wird jetzt so eine Art Andacht gehalten?“, will er noch wissen. „Ja.“ Er dankt für die Antwort und tritt hinein. Offenbar hat Lehmann auch ihn so wie viele Menschen auf unterschiedliche Art angesprochen. Ich stelle mir vor, dass er jetzt den Blick auf die Mainzer und seine Bischofsstadt richtet, als wollte er sagen: „Seid nicht traurig. Gott hat den Tod besiegt. Wir sehen uns wieder“.