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„Werke von ungeheurer emotionaler Tiefe“ „Blauer Aufbruch“ im Landesmuseum bis Februar zu sehen

Vor der „Hymne an das Licht“ (Heinz Kreutz) lauscht Minister Michael Ebling den Erläuterungen der Kuratorin, Karoline Feulner. Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

MAINZ – Die Farbkompositionen vieler Bilder in der Sonderausstellung „Blauer Aufbruch – informelle Malerei der Quadriga nach 1945“ wecken Assoziationen mit heutiger Astrofotografie:  bunte Farbareale, die ineinanderfließen, sich vermischen und überlagern, bilden ferne, kosmische Nebel ab. Von „kosmischer Gewalt“ sollen verblüffender Weise die Zeitzeugen der vor rund 70 Jahren zum ersten Mal öffentlich gezeigten Bilder der Quadriga-Künstler bei deren Betrachtung empfunden haben. Die informelle Kunst, die Karl Otto Götz, Otto Greis, Heinz Kreutz und Bernard Schultze 1952 als „Neuexpressionisten“ in einem zum Ausstellungsraum umfunktionierten Wohnzimmer in Frankfurt – Zimmergalerie Franck – präsentierten, verzichteten vollständig auf geometrische Formen. Nach dem Komplettausfall der humanistischen Tragsäulen der europäischen Gesellschaft, waren ihre Werke ein Weg, neue Ausdrucksformen für die Kunst und vielleicht auch ein Versuch, das Unsagbare, auszudrücken. Alle vier Künstler dienten im Zweiten Weltkrieg als Soldaten.

Die Auswahl der Werke der deutschen abstrakten Malerei nach dem Zweiten Weltkrieg, die das Landesmuseum Mainz noch bis zum 4. Februar 2024 zeigt, erlaubt dem Besucher sich auf die Erkundung jener Suche zu begeben. Ja, sie Schritt für Schritt im Angesicht der Gemälde geistig mitzuerleben und nachzuvollziehen. Anlässlich der Vernissage sprach Innenminister Michael Ebling (SPD), der sich durch die Ausstellung durch Kuratorin Karoline Feulner führen ließ, in ähnlicher Weise von „Werken von ungeheurer emotionaler Tiefe“.

In der Macht der Farben, die tonlos aber nicht stumm, auch andere Besucher berühren dürften, präsentiert sich unter anderem das titelgebende Werk der Schau von Otto Greis, „Blauer Aufbruch“. Ähnlich kraftvoll wirkt „Hymne an das Licht“ (1958) von Heinz Kreutz, ein großformatiges Werk, das die erwähnte „kosmische Gewalt“ in Erinnerung ruft und an die Spiralnebel denken lässt. Die individuelle Begegnung mit der informellen Kunst der Quadriga, die als Avantgarde „das kulturelle Gesicht des Landes nachhaltig prägte“ (Ebling), legt in Mainz wie selten den Zugang zum Verständnis der bundesdeutschen Kunstgeschichte frei.

„Wir zeigen unter anderem Werke von Otto Greis, von dem das Landesmuseum Mainz umfangreiche Bestände besitzt, sowie Teile seines Nachlasses, den das Museum als Dauerleihgabe verwahrt“, erläuterte Museumsdirektorin Birgit Heide. Weitere Leihgaben aus nationalen Museen und bedeutenden Privatsammlungen ergänzen die Schau. Die „hochinteressanten Gegenüberstellungen zeigen die Unterschiede der künstlerischen Ansätze der vier damals noch unbekannten Künstler auf, ergänzte die Generaldirektorin der Generaldirektion Kulturelles Erbe, Heike Otto.

Nicht weniger aufschlussreich, weil vielleicht intimer wirkt indes die Entwicklung von den Zeichnungen, die Otto Greis als blutjunger Anfänger Mitte 1930er Jahre zeichnete, wie „Blühender Kirschbaum“, oder die Eisbären aus dem Frankfurter Zoo, über die Federzeichnung „Kirschblüten Mutti z. Weihnachten“, die er zehn Jahre später malte und die abstrakte Malerei, bis hin zu seiner persönlichen, womöglich kosmischen Offenbarung, die er im „Blauen Aufbruch“ fixierte.

Die Sonderausstellung im Landesmuseum Mainz wird von einem hinzubuchbaren Programm für Kinder, Schulen und Gruppen und andere Besucher begleitet.

Gregor Starosczyk-Gerlach