Start Gau-Algesheim Zwei Kronen für Gau-Algesheim Weinfest >>>Tradition wandelt sich zu einer Doppelspitze

Zwei Kronen für Gau-Algesheim Weinfest >>>Tradition wandelt sich zu einer Doppelspitze

Jule Dickenscheid (Mitte) verabschiedet sich zum Fest des jungen Weines von der Krone der Traubenkönigin von Gau-Algesheim. Das neue Königshaus hat danach mit Ella Bloch und Fee Ewald eine Doppelspitze. Foto: Gau-Algesheim. Traubenkönigin

GAU-ALGESHEIM – Die Bühne auf dem Gau-Algesheimer Marktplatz wird wie immer zum Fest des jungen Weines (10. bis 13. Oktober) festlich geschmückt, doch 2025 folgt der Moment, den es in der Geschichte der Stadt noch nie gegeben hat. Wo sonst eine junge Frau im Mittelpunkt stand, werden in diesem Jahr zwei Kronen glänzen: Gau-Algesheim bekommt mit Ella Bloch und Fee Ewald eine majestätische Doppelspitze.

Den Entschluss, der dazu führte, beschreibt die amtierende Traubenkönigin Jule Dickenscheid so: „Wir wussten vorher gar nicht, dass es diese Option gibt.“ Involviert waren neben ihr Stadtbürgermeister Michael König, die Vertreter des Heimat- und Kulturvereins und sie selbst. „Aber beide Kandidatinnen haben sich so überzeugend präsentiert, dass die Doppelspitze allen wie ein Gewinn erschien.“

Beide jungen Frauen eint eine lange Freundschaft: Sie sind Nachbarinnen, haben als Kinder zusammengespielt, als Jugendliche Freizeiten im Zeltlager organisiert und zuletzt sogar gemeinsam einen Skiurlaub verbracht. Dass sie nun zusammen das Amt der Traubenkönigin übernehmen, ist für beide „das perfekte Abenteuer“.

Ella Bloch, 20 Jahre alt, steht am Anfang ihres Maschinenbau-Studiums in Darmstadt. Ihre Verbindung zum Wein liegt in der Familie: Die Mutter führt eine Vinothek im Saarland, der Vater pflegt Reben, die in Kooperation mit Weingütern ausgebaut werden. Fee Ewald beschreibt sich als fest in Gau-Algesheim verwurzelt. Sie absolviert  die Ausbildungen zur Köchin, sich zusätzlich als „Beraterin für Deutschen Wein“ qualifiziert und kennt die Weinkultur von innen heraus. Das Amt sei über zwei Jahre ein Teil ihrer Identität geworden, erzählt Dickenscheid. Ja, es tut etwas weh, die Krone abzugeben. „Man wird überall angesprochen, knüpft neue Freundschaften und wird mit der Stadt verbunden. Aber ich freue mich, dass die Krone in so gute Hände kommt.“

Dickenscheid hat dem Amt im Spannungsfeld zwischen Tradition und Neuerung eine eigene Note verliehen. „Es geht nicht vorrangig darum, gut auszusehen, sondern eine Stadt zu repräsentieren, Kontakte zu knüpfen und Verantwortung zu übernehmen.“

Gerade das ist es, was die beiden Nachfolgerinnen reizt. Gau-Algesheim lebt auch von der Winzerkultur und der Weitergabe von Ritualen. Bei der Frage, wie die Tradition in einer Zeit bestehen kann, in der junge Menschen andere Erwartungen und Lebensentwürfe haben, sagt Ewald: „Man kommt nicht drum herum, das Alte mitzunehmen.“ Es sei schön, eine Krone zu tragen, ein Kleid, all das, was die Leute erwarten. „Aber genauso schön ist es, neue Impulse zu setzen.“ Ihre Kameradin formuliert es ähnlich: „Wir zeigen, dass Tradition nicht starr ist. Indem wir zu zweit antreten, machen wir das Amt ein Stück moderner, ohne die Wurzeln zu verleugnen.“

Freilich streift das Amt die Frage nach dem Frauenbild, das damit transportiert wird. „Es sollte unabhängig vom Geschlecht sein, ob man Gau-Algesheim repräsentiert“, findet Bloch. „Ich fände es schön, wenn sich künftig auch Männer bewerben würden. Letztlich geht es um Stolz und Verbundenheit, nicht um Mode oder Aussehen.“ Ewald ergänzt: „Die Rolle verändert sich nicht durch das Geschlecht. Wir alle sind stolz, unsere Stadt zu vertreten. Darauf kommt es an.“

Damit greifen sie eine Diskussion auf, die auch in anderen Gemeinden geführt wird: ob es nicht an der Zeit ist, das Konzept der Weinkönigin neu zu denken – weniger als Schönheitsideal, mehr als Botschafterin oder Botschafter einer Region.

Dass die Aufgabe Mut erfordert, steht außer Frage und bedeutet für die jungen Frauen Neuland: Reden vor großem Publikum, Empfänge, die Eröffnung des Weinfestes. „Ich habe noch nie eine große Rede gehalten“, gibt Bloch zu. Ewald sieht es als Chance: „Es ist eine Herausforderung, aus der eigenen Komfortzone herauszugehen, aber genau das macht den Reiz aus. Wir werden daran wachsen.“

Im Duett zeigen sie ihre Stärke: „Wir können einander vertreten, stützen und die Verantwortung teilen“, sagt Bloch, und Ewald fügt hinzu: „Wir bewahren, was unsere Stadt ausmacht, und geben gleichzeitig ein Stück Zukunft hinzu.“

Für Dickenscheid endet eine prägende Zeit, doch sie bleibt der Stadt verbunden. Durch ihre Amtszeit wurde sie in den Vorstand des lokalen Weinkonvents gewählt, wo sie künftig Veranstaltungen mitgestalten und jüngere Generationen ansprechen will. „Das Amt hat mir viele Türen geöffnet“, sagt sie. „Ich möchte diese Chancen nutzen und weiter Verantwortung übernehmen.“

 

Gregor Starosczyk-Gerlach