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„Gott braucht unser Fasten nicht“

MAINZ – Pfarrer Gottfried Keindl betreut die Katholische Pfarrgemeinden in Budenheim und Mombach. Mit der Lokalen Zeitung sprach er über die Fastenzeit.

Wie lässt sich die Fastenzeit in die heutige Zeit übersetzen?

PFARRER KEINDL: Die 40 Tage sind eine biblische Symbolzahl mit einer qualitativen Charakterisierung. Übernommen ist sie aus der Beobachtung, dass die Schwangerschaft einer Frau 40 Wochen anhält. Dann erfolgt die Geburt eines Kindes, ein Leben beginnt. Die Zahl symbolisiert somit eine vorgegebene Zeit, nach der etwas komplett Neues geschieht. Die Fastenzeit oder auch österliche Bußzeit führt zu einer Metanoia, zu einer Umkehr und Umdenken. An Ostern feiern wir dann überschwänglich die provokative Wucht des christlichen Glaubens: die Auferstehung.

Welche Bedeutung hat das Fasten und welchen Sinn kann es den Menschen vermitteln?

PFARRER KEINDL: Für mich hat die Fastenzeit zwei Ziel-Punkte, die sich wechselseitig bedingen. Zum einen die Umkehr in der Bedeutung von Umdenken. Die von Menschen gemachten negativen Gottesbilder, wie Gott der Rache, komplett streichen und sich an Jesu Gotteserfahrung orientieren, anders von mir selbst und den Mitmenschen denken. Ich respektiere sie, mache mich aber nicht von deren Meinungen abhängig. Mir ist eine ungeheure Freiheit geschenkt, Entscheidungen zu treffen. Die Technik, Medizin, Biogenetik erweitern die Grenzen des Möglichen. Wir stehen damit aber vor zerstörerischen Versuchungen. Die Angst ist ein Kennzeichen der Gesellschaft geworden, um ein Beispiel aus einem Buch von Monika Renz zu nennen.

Können Sie dazu Beispiele geben?

PFARRER KEINDL: Aktuell sind es Angst vor der Ausbreitung des Corona-Virus, vor Hass-Botschaften, vor Anschuldigungen und Schuldzuweisungen. Die Gegenmedizin heißt hier Vertrauen zu Gott, zu sich selbst, zum Mitmenschen aufbauen. Ein zweites Beispiel: Das Haben wollen steht für ausgeprägtes Konsumverhalten, das die Umwelt zerstört und Ressourcen sinnlos bindet, so bei Paketrücksendeaktionen. Die Gegenmedizin gegen solche Begehrensstrukturen heißt aber Loslassen. Der Philosoph Sokrates drückte es in etwa so aus: ,Ich freue mich, wenn ich über den Markt gehe und die vielen schönen Sachen sehe, und mir dann sagen kann: Das alles brauchst du nicht‘.

Wie profitieren Christen, aber auch Nicht-Christen vom Fasten?

PFARRER KEINDL: Gott braucht unser Fasten nicht. Wenn ich faste, weil ich zu dick bin, dann ist dies reiner Selbstzweck. Okay. Aber wenn ich radikal faste, steigt der Purin-Wert und ich bekomme Gicht. In der Fastenzeit geht es um das Zeugnis von Vertrauen, Loslassen und Solidarität.

Das tut jedem Menschen gut, ganz gleich welcher Religion, Kultur oder Nation er angehört. Wie fasten Sie in diesem Jahr?

PFARRER KEINDL: Ich bemühe mich jeden Gedanken, der mich reizt, um andere Menschen niederzumachen oder sie abzuqualifizieren, aus meinem Denken sofort zu entfernen. Das ist mir fast gelungen, aber ich muss hellwach bleiben. Mit Genuss schaue ich mir die Kataloge und Internet-Angebote an – kaufe aber nichts. Mein Vertrauen drücke ich so aus: Ich könnt flenne, muss aber bekenne, dass ich noch immer katholisch brenne, weil ich diese verrückte Welt nur zu gut kenne. Und ich trotz allem die Kerch die Meine nenne.

Das Interview führte Gregor Starosczyk-Gerlach

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Ich schreibe und fotografiere seit 2013 für Journal LOKAL - die lokale Zeitung. Die Begeisterung für die Lokalmedien entdeckte ich während des Studiums der katholischen Theologie und habe seit 2007 für Lokalzeitungen, öffentliche Einrichtungen und Online-Medien gearbeitet. Mich fasziniert der wunderbare Alltag. Unterwegs bin ich für Themen in Rheinhessen rund um Mainz.