
NIEDER-OLM – Es war nicht nur ein sommerliches Konzert unter freiem Himmel, sondern auch ein verspätetes Jubiläum: Mit dem Kreis-Open-Air-Singen auf dem Rathausplatz in Nieder-Olm hat der Kreis-Chorverband Mainz am vergangenen Wochenende sein 75-jähriges Bestehen nachgefeiert. Eigentlich sollte das Konzert im Jubiläumsjahr im Sommer 2024 stattfinden. Das geplante Open-Air in Bodenheim fiel aber dem Regen zum Opfer. Diesmal meinte es das Wetter mehr als gut – und die Stimmen von mehreren Chören erfüllten den Platz vor dem Rathaus.
„Uns war wichtig, dass dieses Jubiläum nicht einfach untergeht“, sagte Maria Emmerich-Barten, die seit Frühjahr 2025 neue Geschäftsführerin des Kreis-Chorverbands ist.
Das Open-Air-Singen bot den Chören nicht nur eine Bühne, sondern auch Gelegenheit zur Begegnung. Knapp ein Dutzend Ensembles aus dem gesamten Verbandsgebiet – von Mainz- Mombach über Zornheim, Nieder-Olm bis Saulheim, und Stadecken-Elsheim – traten auf. „Die Lust am Singen lebt – und wir geben ihr die Plattform, die sie verdient“, betonte Emmerich-Barten. Fast 2.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene singen derzeit in den insgesamt 70 Chören der 38 Mitgliedsvereine im Verband, der unter dem Vorsitz von Alexander Kreisel steht.
Auch der ehemalige Vorsitzende des Kreis-Chorverbands, Walter Weimer, war vor Ort – und brachte im Gespräch seine langjährige Erfahrung ein. Er machte klar, wie stark sich das Chorsingen in den letzten Jahren gewandelt hat. Weg von starren Vereinsstrukturen, hin zu projektorientierten Formaten und modernen Stilrichtungen: „Pop, Gospel, Rock – das ist längst angekommen bei uns.“
Vor allem Projektchöre, bei denen Menschen sich zeitlich befristet und themenbezogen zum Singen zusammenschließen, hätten Hochkonjunktur. „Wir hatten 2024 ein großes Projekt mit der Deutschen Messe. Das kommt an – weil es verbindlich ist, aber überschaubar“, ergänzte Emmerich-Barten. Für viele Chöre seien diese Formate ein Weg, jüngere Menschen zu gewinnen.
Doch der Verband versteht sich nicht nur als Konzertveranstalter. Dahinter steckt eine Struktur, die den Mitgliedschören konkrete Mehrwerte bietet: Unterstützung bei der Organisation, Hilfe bei der Suche nach Chorleitungen, GEMA-Vorteile, Versicherungen, Notenbeschaffung, Seminare und – ganz aktuell – ein geplantes Vize-Chorleiter-Seminar.
„Wir wollen Menschen aus den Chören eine solide Grundlage geben, um im Fall der Fälle einspringen zu können“, so Weimer. Die Ausbildung wird durch drei studierte Chorleiter angeboten.
Gemeinsam geht mehr. Deshalb bemüht sich der Kreis-Chorverband besonders um Vernetzung: zwischen den Chören, zwischen Chorleitern, über Orts- und Genregrenzen hinweg. Zwar würden klassische Formate wie Chorleitertreffen aktuell noch eher verhalten angenommen – doch mit Projekten, Austauschforen und Veranstaltungen wie dem Open-Air-Singen zeige man, dass man offen für neue Wege sei.
Einer der Akzente des Tages: Der Gesangverein Liederkranz 1946 Nieder-Olm, der mit seinem Frauenchor „ChoraLikra“ selbst auftrat, übernahm zugleich das gesamte Catering der Veranstaltung. Der Erlös aus Speisen und Getränken fließt vollständig in die Restaurierung der 120 Jahre alten Vereinsfahne – ein lokales Kulturgut, das der Chor mit dem Engagement vieler Freiwilliger bewahrt. Ein Fazit? Chöre mehr nach wie vor gebraucht– als soziale Orte, als musikalische Kraftzentren und als Ausdruck gelebter Gemeinschaft.
Gregor Starosczyk-Gerlach