BODENHEIM – 2015 führte Johannes Schöller als Bodenheimer Nachtwächter zum 1. Mal Menschen durch seine Heimat. „Das war damals die Tour 1 mit den Schwerpunktthemen Auswanderung, Hexen, unserem schönen Rathaus und dem Wappen Bodenheims. Dazu gehört als Überschrift natürlich die Revolution – die die Menschen nach Übersee trieb,“ so Johannes Schöller. Jetzt hört er auf und geht als Nachtwächter mit 41 Jahren „in den Ruhestand“.
25 Seiten Text hatte er erarbeitet, unterstützt durch den Bodenheimer Kulturbeauftragten Bernhard Marschall. Die mussten auswendig gelernt werden – aber so, dass er nicht einen Text herunter betet – sondern locker. „Dazwischen konnte ich immer wieder Anekdötchen und kleine Geschichten aus dem Ort unterbringen. Bei den Touren kamen Anwohner vorbei und berichteten über ihre Kindheit an der Eselsrutsch – tolle Geschichte.“
„Die Bodenheimer Geschichte ist unglaublich spannend und vielseitig. An jeder Ecke gibt es etwas zu entdecken. Das den Teilnehmern der Touren nahezubringen, ist meine Passion“ führt er weiter aus.
Eigentlich sollten im Frühjahr viele Touren stattfinden – die sich nun alle auf den Herbst konzentrieren. Bis zum Ende des Jahres ist er mit vielen Privatgruppen – bis zu drei in der Woche – unterwegs. „Die Touren kann man nur im Frühjahr, Herbst oder Winter machen. Im Sommer schmelze ich unter der dicken Kutte und dem großen schwarzen Filzhut einfach nur weg.“
Gestartet war er mit 80 Teilnehmern je Gruppe, jetzt nimmt er maximal 25 mit auf den Weg durch Bodenheim. Bei manchen Touren gab es Glühwein oder auch schon „Weck, Worscht und Woi“. Viele Firmen waren dabei – auch Bodenheimer – die auf dem Weg den Beginn ihrer Weihnachtsfeier starteten und den Abschluss in einer der Wirtschaften fanden.
Insgesamt hat der Bodenheimer Nachtwächter über 500 Führungen angeboten. Die Einnahmen hat er gesendet an das Kinder- und Jugendtheater Bodenheim – ein Grundstock, mit vieles angeschafft werden konnte. Und es kam in den 5 Jahren sehr viel Geld zusammen.
„Meine Lieblingsgäste waren immer die Kinder – ja auch Kindergeburtstage fanden mit mir statt. Die wollen so unendlich viel wissen und fragen einem ein Loch in den Bauch,“ schwärmt Johannes Schöller heute noch.
Es gab aber auch Gruppen, bei denen viele mit einem soliden geschichtlichen Wissen kamen und tief in die Annalen der Gemeinde einsteigen wollten.
Für die 2. Tour hatte er die Themenkomplexe Gericht, Kirchen und Aberglauben gewählt. „Die Idee habe ich als Inspiration aus dem Theaterstück „Vive la Revolution“ bekommen. Für das Stück hatte ich als Regisseur unheimlich viel Material gesichtet und dachte mir: Das muss ich nochmal anders verwerten.“
Aus den Archiv-Unterlagen ging auch hervor, dass von 1793/1794 bis in die 50er Jahre des letzten Jahrhunderts Nachtwächter bei der Gemeinde angestellt waren. „Von dem Gehalt konnte er nicht leben. Er wurde von Bürgern und Geschäftsleuten unterstützt. Dazu gehörte es auch, die Sperrstunde im Ort zu überwachen. Manchen „späten Gast“ brachte er aus dem Gasthaus auch nach Hause. In den vielen Jahren kam die Funktion als Ausscheller dazu: Hatte die Gemeinde was mitzuteilen, der Ausscheller tat es kund. Geburten Hochzeiten aber auch Dinge, wer mit wem gerade fremdging wurden ausgeschellt.“
Bei einer Tour kam Rainer May, Enkel des letzten Bodenheimer Nachtwächters, auf ihn zu und zeigte ihm die Laterne des Nachtwächters, die er geerbt hat. „Mein Opa war vor allem als Ausscheller unterwegs,“ berichtet Rainer May.
Aber auch Geschichten über Pfarrer, die bis kurz vor der Messe noch im Gasthaus gab es zu erfahren. Unter dem Motto: Die fangen ohne mich eh nicht an! Blieb er eben sitzen.
Auch die letzten Touren werden unter den bekannten Bedingungen geführt: Liste und Abstand. „Gut nur, dass wir im Freien sind“
Und jetzt ist Schluss – sagt Johannes Schöller als Nachtwächter. Journal Lokal hakt nach: warum denn nur? „Ich bin als Sozialarbeiter im Jugendamt der Stadt Mainz angestellt. Was da in den letzten Jahren an Arbeit anfällt, ist so gewaltig gewachsen, dass kaum noch Energie übrig bleibt. Mein Ehrenamt als 2. Beigeordneter der Gemeinde Bodenheim – ein toller und vor allem spannender Job – ist nochmal umfangreicher geworden. Als Leiter des Geschäftsbereiches Soziales habe ich 5 KiTas mit 110 Mitarbeiterinnen und 500 Kindern zu betreuen. Und ich hab mir gesagt: nach Corona machst du noch ein paar Touren und setzt dich dann zur Ruhe. TV Rheinterrasse soll ja auch noch weiter gehen!“
Journal Lokal sagt Danke schön für das Gespräch und wünscht Johannes Schöller alles Gute für die Zeit nach dem Nachtwächter.
Wolf-Ingo Heers