Start Gesellschaft „Geächtet, geplündert, geflohen“ Einweihung Familie-Abraham-Platz und Gedenkstele am Bahnhof Klein-Winternheim

„Geächtet, geplündert, geflohen“ Einweihung Familie-Abraham-Platz und Gedenkstele am Bahnhof Klein-Winternheim

Die Stehle der Familie Abraham am Bahnhof Klein-Winternheim. Foto: Claudia Röhrich

Klein-Winternheim – Der halbe Ort war gekommen zur Einweihung des Familie-Abraham-Platzes und der Gedenkstele am Bahnhof Klein-Winternheim. Viele hatten dabei sicher auch die Terroranschläge der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 vor Augen. Den musikalischen Rahmen gestaltete das Saxophon-Quartett des Musikvereins Klein-Winternheim e.V.

Die jüdische Familie Abraham kam anfänglich aus dem Nachbarort Ober-Olm. Sie errichtete ab 1890 am Bahnhof von Klein-Winternheim einen Landhandel und versorgte Bauern mit Saat, Futtermitteln und Dünger. Im Ersten Weltkrieg kämpften Familienangehörige für das frühere Deutsche Kaiserreich. Bei den Novemberpogrome 1938 griffen Nationalsozialisten Haus und Geschäftsräume an, zerschmetterten die Fenster, plünderten und zerstörten das Mobiliar und verjagten die gedemütigten Bewohner. Das Hab und Gut der Abrahams wurde beschlagnahmt und die Familie musste fliehen.

Der halbe Ort war zur Einweihung gekommen. Foto: Claudia Röhrich

Die ZDF-Journalistin Monika Hoffmann recherchierte das Verhängnis der Familie Abraham und trug am 9. November 2018 im Kreis einer Gedenkveranstaltung im örtlichen Rathaus ihre Kenntnisse vor, die sie auch in ihrer Broschüre „Geächtet, geplündert, geflohen“ belegt hatte. „Nach Gesprächen und Ausstellungen, beschloss der Gemeinderat einstimmig, mit der Errichtung des Gedenksteins und der Umbenennung des Platzes, ein Zeichen gegen das Vergessen zu setzen“, informierte Ortsbürgermeisterin Ute Granold (CDU). Hergestellt und gespendet wurde die Granitsäule von Holger Eisenacher, dem örtlichen Steinmetz.

Die gestaltete Stele trägt die Namen der Familienmitglieder, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten ermordet wurden oder an den abscheulichen und erbarmungslosen Bedingungen der Lagerhaft starben. Die Inschrift lautet: Geächtet, Geplündert, Geflohen – An diesem Ort lebte Familie Abraham. Während der Novemberpogrome am 10. November 1938 verwüsteten Nationalsozialisten ihr Wohn- und Geschäftshaus. Sie enteigneten die jüdische Familie und zwangen sie zur Flucht ins Exil. Wir erinnern an Alexander und Hedwig Abraham, geb. Mayer, Otto und Paula Abraham, geb. Marx, Anna Alice Haas, geb. Abraham und Ehemann Ferdinand mit Tochter Fanny Lore, Alex und Johanna Abraham, geb. Isaak mit Tochter Rosa Hilde.

Ortsbürgermeisterin Ute Granold sagte: „Die Juden haben wieder Angst, wer hätte das gedacht, nach so langer Zeit. Damals war es ein staatliches Pogrom, jetzt war es Terror“. Dorothea Schäfer, Landrätin des Landkreis Mainz-Bingen, sagte in ihrem Grußworte: „Die Gedenkstele soll an die Verbrechen erinnern, ‚nie mehr‘ ist ein Versprechen. Die Jüngeren muss man mitnehmen.“ Es folgten Grußworte von Dekan Pfarrer Andreas Klodt, Evangelisches Dekanat Mainz. Er sagte: „Es herrscht auch heute berechtigte Angst unter den Juden. Der Gemeinderat möchte der Familie Abraham einen Platz in Klein-Winternheim geben.“

Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky von der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Reinhesse K.d.ö.R. hielt eine verbitterte Ansprache. Foto: Claudia Röhrich

Der Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky, von der Jüdischen Kultusgemeinde Mainz-Rheinhessen, erwähnte in seiner Ansprache, dass er heute seine Wertschätzung zum Ausdruck bringt, bedanken sei allerdings nicht angebracht. Verbittert sagte er: „1400 Synagogen wurden in der Reichspogromnacht abgebrannt, das war vor 85 Jahren. Erst haben sie Bücher verbrannt, dann Häuser und schlussendlich Menschen.“ Pfarrer Ulrich Dahmer, von der Evangelischen Kirchengemeinde Ober-Olm und Klein-Winternheim, prangerte die verbrannten Israelfahnen in Mainz und Nieder-Olm an. „Seit dem 7. Oktober fragen sich die Juden wieder, wo können wir noch leben. Der Hass im Netz nimmt weltweit lawinenartig zu.“ Es seien nicht nur Extremisten, sondern auch Leute aus der Mitte der Gesellschaft, die die Juden anfeindeten. Pfarrer Michael A. Leja, von der Katholischen Pfarrgruppe Klein-Winternheim/Ober-Olm/Esssenheim, möchte, dass man sich mutig einsetzt für soziale Gerechtigkeit. Er hatte den Hauptteil seiner Rede in eine Predigt verpackt. Die Ortsbürgermeisterin dankte nach der gelungenen und feierlichen Veranstaltung allen für ihre Reden und Musikbeiträge. „Wir Klein-Winternheimer Bürger müssen für den Schutz der Juden eintreten.“

Claudia Röhrich