NIEDER-OLM – Die Chormusik in Rheinhessen erholt sich langsam. Nach den Rückschlägen, die Corona und die Hygienevorschriften in den Reihen der Gesangsvereine verursacht haben, „kommen die Menschen langsam wieder zurück“, bestätigt Norbert Gubelius den Eindruck, den beispielsweise die steigende Zahl der Konzerte in der Region andeutet. „Man muss dennoch neu anfangen.“ Es gibt Chöre, die zusammengebrochen seien, „weil die älteren Sängerinnen und Sänger aufgehört haben“.
Daher packt er als Dekanatskantor im Evangelischen Dekanat Ingelheim-Oppenheim ebenfalls den Neuaufbau mit an. Seit Januar arbeitet er in Nieder-Olm. Seine Arbeitsweise: „Ich fange mit Projekten an“. Diese Form scheint wie gemacht für diese Aufbauphase.
Aktuell bereitet Gubelius beispielsweise jeden Freitag mit Sängerinnen und Sängern in Nieder-Olm den Auftritt beim diesjährigen Reformationstag in der Katharinenkirche in Oppenheim vor. Sein nächstes Projekt soll im November starten und an Weihnachten zur Aufführung kommen. Vor Ostern vermutlich genauso. „Vielleicht ist jemand jetzt dabei und an Weihnachten nicht, und dann wieder im Frühling“, schildert Gubelius.
Die 20 Sängerinnen und Sänger kommen aus der Gegend um Nieder-Olm. Einigen bietet der Projektcharakter den idealen Einstieg – auch nach 14 Jahren Inaktivität, andere sind ununterbrochen mit Musik unterwegs. Seit einer Dekade etwa nehmen jedenfalls Projektchöre einen immer sichtbareren Platz bei den Mitmachangeboten in der Chorlandschaft ein. Nach Corona verstärkt sich der Trend, schätzt Gubelius ein. Die Wahlmöglichkeit entspricht den jetzigen Wunschanforderungen. Vergleichbar mit Überlebenden einer Katastrophe suchen Gleichgesinnte den Kontakt zueinander und finden ihn darin.
Für den Gottesdienst zum Reformationstag wird am Lied „Der Mond ist aufgegangen“, vierstimmig von Max Reger, gearbeitet. „Der Chor singt die Strophen abwechselnd mit der Gemeinde.“ Neben dem weiteren und anspruchsvollen Populärstück: „Strahlen brechen viele“, übt der Chor auch die nicht weniger anspruchsvolle Komposition aus dem Oratorium „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn. „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ sei für zwei Chöre gedacht, „ist aber für einen Chor reduziert worden“, erläutert Gubelius. Was anspruchsvoll genug ist, wie es sich beim Probenbesuch zeigt. Takt für Takt, Stimme für Stimme wiederholt Gubelius mit den Tenören, Bässen das Musikstück, fragt die Alt- und Sopran-Stimmen: „Habt ihr heimlich geübt?“, und schafft damit eine angenehme Arbeitsatmosphäre.
Wie ein Steinmetz korrigiert der Dekanatskantor die Unebenheiten in der unsichtbaren, aber hörbaren Materie. Er lauscht erneut den Sopran- und die Alt-Stimmen, nimmt dann alle anderen Stimmen dazu. Als der Chor gemeinsam singt, enthüllt sich die Melodie wie ein Musikgebilde. Die zwei Stunden vergehen mit harter, aber beflügelnder Beschäftigung. Bis zum Gottesdienst am 31. Oktober, 20 Uhr, sind es nur noch wenige Proben. „Das wird schon klappen“, sagt Gubelius. Er weiß es, die Zuversicht hat auch beim letzten Chorprojekt funktioniert.
Gregor Starosczyk-Gerlach