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„Hinschauen. Helfen. Schützen: Wenn das Zuhause zum Tatort wird.“ Gewalt >>>Veranstaltung in Bodenheim rückt häusliche Gewalt ins Licht

Das Thema „Häusliche Gewalt“ stieß auf großes Interesse in Bodenheim. Foto: Sabine Longerich

BODENHEIM – Es war ein Abend der offenen Worte, der schmerzhaften Wahrheiten – und der Hoffnung auf Veränderung. Unter der Leitung von Heike Hermes, seit August 2024 Gleichstellungsbeauftragte der Verbandsgemeinde Bodenheim, fand im voll besetzten Grezzana-Saal des Rathauses eine eindrucksvolle Informations- und Diskussionsveranstaltung zum Thema „Häusliche Gewalt in engen sozialen Beziehungen“ statt – ein dringender Appell gegen das Schweigen. Unterstützt wurde Hermes tatkräftig von den Bodenheimer Landfrauen unter Leitung von Gabriele Schuster, die die Gäste nicht nur mit regionaler Verpflegung, sondern auch mit solidarischer Präsenz begleiteten.

Das Ziel des Abends: informieren, enttabuisieren, helfen – und deutlich machen, dass häusliche Gewalt kein privates, sondern ein gesellschaftliches Problem ist. Hermes: „Gewalt in engen Beziehungen findet in allen Bildungs-, Alters- und Gesellschaftsschichten statt. Sie verletzt die Würde und das Selbstbestimmungsrecht von Menschen – und sie ist niemals die Schuld des Opfers.“

Gleichstellungsbeauftragte Heike Hermes führte mit Zahlen und Fakten ins Thema ein. Foto: Sabine Longerich

Mit eindrücklichen Zahlen und Fakten untermauerte Hermes die Dringlichkeit des Themas: Während Frauen den Großteil der Betroffenen stellen, machen männliche Opfer rund 20 bis 30 Prozent aus – und werden in der öffentlichen Wahrnehmung kaum gesehen. Ein Punkt, den auch Frank Z., ein betroffener Vater, deutlich machte. Gleich zu Beginn der Veranstaltung bat er um geschlechterneutrale Sprache und mehr Sichtbarkeit für Männer, die von Partnergewalt betroffen sind. „Sagen Sie bitte Partner*innen“, so sein Appell an Hermes – und wurde gehört.

Im anschließenden Interview mit dieser Zeitung schilderte er eindrucksvoll seine Erfahrungen mit einer alkoholkranken Partnerin und die jahrelange Belastung für seine Töchter und ihn selbst: „Wir lebten offen mit dem Thema, doch wir waren machtlos. Die Kinder litten unter Ängsten, sogar Selbstmordgedanken. Ich entwickelte eine Co-Abhängigkeit und blieb – wie so viele Betroffene – aus falsch verstandener Verantwortung. Bis meine Frau am Alkohol starb.“ Er machte deutlich: Auch Väter brauchen Anlaufstellen und Verständnis – jenseits von Vorurteilen.

Die ehemalige Polizistin Renate Fischer brachte Fälle aus ihrer Praxis mit. Foto: Sabine Longerich

Dass häusliche Gewalt oft schwer zu erkennen und noch schwerer zu stoppen ist, zeigte Renate Fischer auf, die als langjährige Spurensicherungsbeamtin bei der hessischen Polizei berührende Einblicke in reale Fälle gab. Sie betonte, dass die Polizei klar zwischen Täter und Opfer trennt – unabhängig vom Geschlecht – und dass eine Anzeige nicht mehr zurückgezogen werden kann, da sie von der Staatsanwaltschaft gestellt wird. Ihr eindringlicher Rat: „Nicht wegschauen. Auch wenn Hilfe abgelehnt wird – handeln Sie trotzdem.“

Markus Kny vom Interessenverband Unterhalt und Familienrecht (ISUV) brachte als erfahrener Verfahrensbeistand ein: „Kinder leiden in allen Konstellationen. Es geht nicht nur um Schläge – auch psychische Gewalt und Alkoholmissbrauch hinterlassen Narben.“ Und selbst das Jugendamt stoße immer wieder an seine Grenzen, wie eine ehemalige Kita-Leiterin aus dem Publikum berichtete, was Kny bestätigte. In einem konkreten Fall einer alkoholkranken Mutter konnte nicht eingegriffen werden, da äußere Anzeichen fehlten: „Die Kinder waren satt und gut angezogen – das reicht oft als Schutzschild.“

Die Veranstaltung zeigte klar: Es braucht mehr Wissen, mehr Zivilcourage – und mehr staatliche Unterstützung. Hermes sammelte Ideen aus dem Publikum, zum Beispiel, Jugendämter personell besser auszustatten, Männer gezielter zu unterstützen und dem gesellschaftlichen Verrohungsprozess aktiv entgegenzuwirken – in Familien, Schulen, Kitas und Nachbarschaften.

Heike Hermes bedankte sich bei Renate Fischer mit einem Blumenstrauß. Foto: Sabine Longerich

Ein Folgeangebot der Gleichstellungsbeauftragten wird sich gezielt mit sexualisierter Gewalt befassen. Hermes abschließend: „Wir dürfen nicht länger schweigen. Ich bin für alle da – für Frauen und Männer. Wer Gewalt vermutet, muss hinsehen, hinhören und handeln. Auch wenn es unbequem ist.“

Anlaufstellen finden Betroffene unter:

https://mffki.rlp.de/themen/frauen/gewalt-gegen-frauen-und-maedchen

https://www.maennerhilfetelefon.de/

Sabine Longerich