OBER-OLM – Während ich die letzten Meter zum Treffpunkt hinter mich bringe, komme ich nicht umhin, mir Gedanken über den Herbst zu machen. Eigentlich sind eher die wärmeren Jahreszeiten mein Fall, jedes Mal freue ich mich über die ersten sonnigen Frühlingstage. Wenn es aber um Wälder geht, liegt mir der Herbst tatsächlich näher. Das kräftige Orange blättergetränkter Waldwege, der Geruch nasser Erde, das leise Knacken dünner Äste im Wind ist mir lieber als der schönste Sommertag.
Als ich an diesem bewölkten Herbstmorgen am Forsthaus im Ober-Olmer Wald ankomme, befürchte ich, dass ich zu spät bin. Schon von Weitem sehe ich Eltern mit ihren Kindern im Halbkreis stehen, vor ihnen steht Anne Böschen, die mit lebhafter Gestik einige freundliche Begrüßungsworte spricht. Der Eltern-Kind-Waldworkshop hat also schon begonnen. Ich schaue auf die Uhr, zwei Minuten vor Beginn. Also doch rechtzeitig – vielleicht wollte die gelernte Waldpädagogin ihre kleinen, neugierigen Gäste nicht weiter auf die Folter spannen. Die studierte Agraringenieurin und Hochschullehrerin für Kunst hat sich 2019 als Waldpädagogin zertifizieren lassen. In Zusammenarbeit mit den Landesforsten Rheinland-Pfalz und dem Waldnaturschutzzentrum Ober-Olm bietet sie seitdem Workshops und Seminare im Wald an.
Kurz danach geht es auch schon los. Die Kinder und die Eltern folgen Böschen im Gänsemarsch zum anliegenden Nutzgarten. Sie erklärt, welche Pflanzen für welche Farben verwendet werden. Goldrute gibt es für ein sattes Gelb, für Lila eignen sich Brombeeren, aus der Targetes wird ein deckendes Orange. Vor dem Holunderstrauch staunen alle darüber, was man aus der Pflanze und ihren kleinen schwarzen Früchten machen kann: Gelee, Saft, Tee, Pfannkuchen, Pusterohre, Schreibfedern, die Liste scheint endlos zu sein.
Dass der Sirup für einen guten Hugo nicht erwähnt wird, liegt an der Anwesenheit der Kinder. Zwischendurch werden die Teilnehmer mit einigen Fragen auf Trab gehalten. Ich weiß zwar, dass die Tomate ein Nachtschattengewächs ist, aber bei den anderen Fragen muss ich passen. Immerhin: ein Punkt in diesem spontanen Naturquiz.
Zurück am Tisch zeigt Böschen, wie aus den Pflanzen die Farben entstehen. Die Brombeeren werden durch einen Filter gepresst, Targetes und Goldrute im Mörser zerrieben und aufgegossen. Aus dem Lila wird ein sattes Blau: mit etwas Zitronensaft und dem vorsichtigen Aufreiben einer Kernseife, die Böschen selbst gemacht hat. Sie betont mehrfach, dass alle verwendeten Material erneut verwertet werden können.
Im Einklang mit der Natur und ihren Ressourcen zu leben – das ist die klare Botschaft, die sie vermittelt. Wenn man die Waldpädagogin nicht gerade im Wald antrifft, dann in ihrer Werkstattgalerie in der Mainzer Neutorstrasse. In ihrem hellblauen Atelier kann der Kunstinteressierte weit mehr als nur Bilder kaufen: Neben Malparties mit Erd- und Pflanzenfarben finden dort auch Workshops und Teambuildings statt, sogar Aktionen für Schulklassen, Junggesellinnenabschiede und Kindergeburtstage bietet Böschen an.
Während die Kinder anfangen zu malen, passen die Eltern auf, dass trotz alter Kleidung nicht zu viel Farbe danebengeht. Böschen selbst wuselt in dieser ganzen Szenerie überall rum, beobachtet die Kunst im Prozess, gibt Ratschläge, beantwortet mit Geduld die Fragen der Kinder.
In einer fahlgrauen Mappe aus dickem Karton hat Böschen auch eigene Bilder mitgebracht, um zu zeigen, wie bunt die Farbpalette der Natur sein kann. Am Ende schauen alle das farbenkräftige Puzzles auf einem Tisch an: eine vielfältige wie schön anzuschauende Ansammlung an Schachbrettmustern, Spiralen, Wellen und anderen Figuren. Die Kinder sind glücklich, die Eltern, und Böschen wahrscheinlich auch.
Dem Feedback der Teilnehmer nach kommen solche Veranstaltungen in der Natur gut an: Die Eltern berichten spontan, wie schön es sei, gemeinsam mit ihren Kindern mal eine andere Seite der Natur kennenzulernen und dabei auch noch mehr Bewusstsein für unsere Umwelt zu schaffen. Dabei lernen alle, dass die Natur alles für uns bereithält, was wir brauchen – vorausgesetzt, wir geben das zurück, was wir von ihr genommen haben.
Autor: Felix Werner