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Tragikomödie über einen Mann von Ehre Die „Camerata“ rückt mit ihrer neusten Aufführung Menschen am Rande der Gesellschaft in den Mittelpunkt

Zum Ende des Stückes versammelten sich alle Beteiligten auf der Bühne. Foto: Johannes Preyß

FINTHEN – Es ist ein Thema, das bereits in der Bibel thematisiert wurde, über das Joseph Roth in den 30er-Jahren das Buch „Die Legende vom heiligen Trinker“ schrieb und das jetzt, wo es in der evangelischen Kirche Finthen als Theaterstück aufgeführt wurde, leider noch mindestens genauso relevant ist. Obdachlosigkeit und Armut sind in jeder Stadt sichtbar, doch bleiben die einzelnen Schicksale meist verborgen. Genau diese Schicksale werden im Stück der Kirchenspieltruppe „Camerata“ in den Mittelpunkt gerückt.

Der Aufführungsort ist kein Zufall, immerhin sind die Themen Armut und Kirche als helfende Institution seit jeher verbunden, auch im Stück spielt die Kirche eine wichtige Rolle. So ist es Bettina Sieck, die als stellvertretende Vorsitzende des Kirchenvorstandes das Publikum begrüßt. Besonders herauszuheben sei Prof. Dr. Gerhard Trabert, der leider nicht anwesend ist, und sein Verein „Armut & Gesundheit Mainz“, der sich für die Mainzer Obdachlosen und speziell deren gesundheitliche Versorgung engagiert. „Armut macht krank und Krankheit macht arm“, sagt Sieck, aus diesem Grund gehe der gesamte Erlös aus Eintrittsgeld und Spenden an Traberts Verein, der Verzehr in der Pause sei dankenswerterweise von der Bäckerei Ditsch gespendet worden. „Damit gebe ich die Bühne frei. Hals und Beinbruch“, beendet Sieck ihre Begrüßung.

Bettina Sieck begrüßte als Vertreterin der gastgebenden Kirche das Publikum. Foto: Johannes Preyß

Das Stück beginnt mit Musik von Almut Schwab, die mit ihrer Ziehharmonika die perfekte Stimmung für die Geschichte erzeugt. Im Mittelpunkt steht Andreas, ein Obdachloser, gespielt von Lutz Dreyer, dem Autor und Leiter des Stücks. Ein Totschlag aus Eifersucht brachte Andreas, wie man bald erfährt, ins Gefängnis und damit auf die schiefe Bahn, die vor jener Parkgarage endet, an der die Geschichte beginnt. Während er dort wie jeden Tag erbettelt, was er zum Überleben braucht, wird er von einem gut gekleideten Mann angesprochen, der ihn um einen Gefallen bittet. Er erhält 200 Euro, die er am Ende der Woche in der Kirche einer gewissen Therese übergeben soll. Mit dem festen Vorhaben, den Auftrag zu erfüllen, geht er in die nächste Kneipe, wo er bald den Großteil des Geldes vertrinkt. Wie durch ein Wunder trifft er im Laufe der Woche immer wieder auf Leute, die ihm bereitwillig Geld anvertrauen. Bald wird seine Erscheinung immer bürgerlicher und während sein Äußeres immer mehr seinem früheren Selbst ähnelt, suchen ihn die Geister seiner Vergangenheit auf: erst seine frühere Geliebte, wegen der er einen Mann erschlagen hat, dann ein Kindheitsfreund, der nun erfolgreicher Fußballer ist, und schließlich ein Bekannter aus dem Gefängnis. Wie Andreas den Auftrag erfüllt, das Geld an die ominöse Therese zu überbringen, erfährt man am besten persönlich im Theater oder bei der Lektüre der Buchvorgabe. Nur so viel sei gesagt: Therese ist auch der Name einer Heiligen und die Kirche spielt in dem Stück eine zentrale Rolle.

Gegen Ende des Stückes trifft Andreas auf seinen alten Kindheitsfreund. Zwei gänzlich verschiedene Schicksale haben die beiden einst engen Freunde voneinander entfremdet. Foto: Johannes Preyß

Das Stück hält, was es verspricht, es stellt die Schwächsten unserer Gesellschaft in den Mittelpunkt, die Verlegung der Handlung ins heutige Mainz macht die Problematik noch greifbarer. Höchste Zeit, diese Schicksale einmal auf die Bühne zu bringen, besonders im Kontext einer Kirchenvorstellung. Dabei ist Andreas Geschichte exemplarisch für die vieler Obdachloser. Sein Bedürfnis, die Würde beizubehalten, wird vom Satz „Ich bin ein Mann von Ehre, auch wenn ich keine Adresse habe!“ ausgedrückt, der von Andreas gebetsmühlenartig wiederholt wird. Dass genau diese Würde von den Vorurteilen vieler Bürger nicht zugelassen wird, zeigt die vielen Konflikte und Widersprüche, mit denen Menschen wie Andreas konfrontiert sind. Er betrachtet seine Bettelarbeit wie einen Beruf, hat es aber verlernt, mit Geld umzugehen. Er hat einen moralischen Kompass, kann die Versäumnisse der Vergangenheit aber nicht mehr verarbeiten, er strebt nach einem bürgerlichen Leben, wird aber von seiner Alkoholsucht immer wieder zurückgeworfen. So gibt es in dem Stück viele absurde Szenen, die zum Lachen anregen, hin und wieder aber bleibt einem das Lachen im Halse stecken, denn das Thema bleibt ein bitterernstes. So ist das Stück ein Paradebeispiel für eine Tragikomödie, in der man mehr als einmal nicht weiß, ob man weinen oder lachen soll.

Natürlich versammeln sich am Ende noch mal alle Beteiligten auf der Bühne, um mit stehendem Applaus belohnt zu werden. Und Bettina Sieck nutzt die Gelegenheit, sich bei der gesamten Truppe „Camerata“ zu bedanken. „So viele haben wir auf der Kirchenbühne selten gesehen“, bemerkt sie in Anbetracht der beachtlichen Menge an Beteiligten auf der Bühne. An diesem Abend ist für alle Anwesenden etwas dabei, besonders aber für den Verein „Armut und Gesundheit“, der sich wohl über viele Spenden freuen darf.

 

Johannes Preyß

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Ich komme ursprünglich aus München und lerne seit letztem Jahr Mainz mit großer Freude als Student kennen. Dafür bietet mir Journal LOKAL - die lokale Zeitung die perfekte Gelegenheit, denn als freier Journalist kann ich die Stadt immer wieder neu entdecken. Faszinieren lasse ich mich dabei von Politischen Themen, Fastnachtsveranstaltungen, sowie Vereinsarbeit gleichermaßen. Ich hoffe, dass ich diese Faszination unseren Lesern vermitteln kann.