GONSENHEIM/FINTHEN – Das im Juli 2020 gestartete Programm Gemeindeschwester plus richtet sich insbesondere an Menschen ab dem 80. Lebensjahr, welche noch keine Pflege benötigen, jedoch so lange wie möglich selbstbestimmt in ihrer vertrauten Umgebung leben möchten (wir berichteten). Durch gezielte Interventionen und Unterstützungsangebote soll eine Pflegebedürftigkeit vermieden oder herausgezögert werden. Mittlerweile erfolgt das wichtige Landesprogramm im gesamten Mainzer Stadtgebiet. Es wird vom Ministerium für Arbeit, Soziales, Transformation und Digitalisierung Rheinland-Pfalz gefördert und um kommunale Mittel ergänzt.
Seit März 2023 ist Sandra Bittmann Ansprechpartnerin für hochbetagte Bürgerinnen und Bürger in den Stadtteilen Gonsenheim, Finthen, Mombach und HaMü. Die 39-jährige Gemeindeschwester plus ist ausgebildete Altenpflegerin und war zehn Jahre in der ambulanten Pflege tätig. In dieser Zeit absolvierte sie zudem ein Bachelor-Studium im Bereich Gesundheit und Pflege mit dem Schwerpunkt Pflegemanagement. Darüber hinaus war Bittmann von 2020 bis 2023 als stellvertretende Pflegedienstleitung und Qualitätsbeauftragte in der stationären Pflege tätig.
Im Interview mit Journal LOKAL – Die lokale Zeitung erläuterte Bittmann Wissenswertes über ihre Tätigkeit als Gemeindeschwester plus:
Wie werden Seniorinnen und Senioren auf das Projekt „Gemeindeschwester plus” aufmerksam gemacht?
„Öffentlichkeits- und Netzwerkarbeit ist ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Wir versuchen, die Seniorinnen und Senioren auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Was die Menschen aber am meisten anspricht, sind die persönlichen Anschreiben, die wir an die hochbetagten Bürger versenden. Darauf bekommen wir die meisten Reaktionen.“
Wie erfolgt die weiterführende Kontaktaufnahme?
„Wir werden aktiv, wenn die Menschen auf uns zukommen. Hilfesuchende melden sich bei uns meist telefonisch. Dann vereinbaren wir einen Termin für einen Hausbesuch. In seltenen Fällen kam es schon vor, dass nicht direkt ein Hausbesuch gewünscht war. Auch dafür lässt sich aber immer eine Lösung finden, sei es eine ausgiebige Telefonberatung, ein Treffen im nahe gelegenen Park oder in unserem Büro.“
In welchen Lebensbereichen können Seniorinnen und Senioren Unterstützung durch Sie erlangen?
„Unsere Hauptaufgabe ist es, die Menschen dabei zu unterstützen, so lange wie möglich in ihrer gewohnten Umgebung bleiben zu können. Wir beraten zu allem, was dazu gehört, etwa zur Unterstützung im Haushalt oder zu mehr Sicherheit durch ein Hausnotrufsystem. Das Wichtigste ist aber, der Vereinsamung vorzubeugen. Viele der älteren Menschen, die zu uns Kontakt aufnehmen, leben alleine, bekommen vielleicht einmal wöchentlich Besuch von Angehörigen. Hier versuchen wir, passende Angebote zu vermitteln wie Besuchsdienste, Senioren-Nachmittage oder aus den Bereichen Kultur, Bildung oder Bewegung.“
Frau Bittmann, Sie sind „Ansprechpartnerin für hochbetagte Bürgerinnen und Bürger“ in den Stadtteilen Hartenberg-Münchfeld, Gonsenheim, Mombach und Finthen. Wie wird das Programm in Ihrem Zuständigkeitsbereich von der Zielgruppe angenommen?
„Das Angebot wird sehr gut angenommen. Ich habe im März meinen Job angefangen und seitdem rund 80 Menschen zu Hause besucht – manche schon mehrfach. Die Seniorinnen und Senioren sind dankbar, dass ich mir Zeit für sie nehme und ihnen zuhöre. Sie fühlen sich wahrgenommen.“
Was hat Sie dazu bewegt, selbst als Gemeindeschwester plus tätig zu werden?
„Meine Erfahrung in der ambulanten Pflege hat mir gezeigt, wie wichtig es ist, so lange wie möglich zu Hause leben zu können. Gleichzeitig habe ich mitbekommen, wie zurückgezogen und allein gelassen viele ältere Menschen leben. Es ist schön, dass ich sie durch meine Arbeit dabei unterstützen kann, selbstbestimmt in ihrer vertrauten Umgebung bleiben zu können.“
Wie bewerten Sie die Signifikanz des Angebotes „Gemeindeschwester plus“? Besteht Bedarf nach einem weiteren Ausbau?
„Aktuell ist die Nachfrage auf jeden Fall sehr hoch. Die Menschen sind froh zu wissen, dass es Ansprechpersonen gibt, eine Stelle, an die sie sich wenden können. Die weitere Entwicklung wird sich zeigen. Aufgrund des demografischen Wandels ist zumindest damit zu rechnen, dass der Bedarf bleibt und wahrscheinlich noch zunehmen wird. Dies zeigt sich auch dadurch, dass das Land Rheinland-Pfalz aus dem anfänglichen Modellprojekt Gemeindeschwester plus inzwischen ein Landesprogramm gemacht hat.“
Wie viele KlientInnen unterstützen Sie aktuell?
„Es ist schwierig, das exakt zu beziffern. Manchen Menschen kann ich schon mit einem einzigen Anruf helfen, andere besuche ich mehrmals zu Hause, bis alle Fragen geklärt sind. Und dann kann es sein, dass sich jemand nach ein paar Monaten erneut meldet. Man kann sagen, dass fast täglich ein neuer Kontakt hinzukommt. Im Durchschnitt mache ich am Tag ein bis zwei Hausbesuche.“
Wie erfolgt die Vertretung in Urlaubs- und Krankheitsfällen?
„Wir sind insgesamt vier Fachkräfte im Programm Gemeindeschwester plus. Wir sprechen uns ab, sodass in dringenden Fällen immer jemand erreichbar ist.“
Welche Herausforderungen begegnen Ihnen und wie gehen Sie damit um?
„Man wird mit den unterschiedlichsten Problemen konfrontiert, von Hilfe bei der Haushaltsführung, Begleitung beim Einkaufen oder zu Arztbesuchen aufgrund eingeschränkter Mobilität, Unterstützung beim Ausfüllen von Formularen, Überleitung zum zuständigen Pflegestützpunkt. Aber auch das Thema Einsamkeit spielt eine große Rolle, oft verbunden mit Trauer, weil der Partner, die Partnerin verstorben ist, Bekannte ins Pflegeheim gezogen sind oder die erwachsenen Kinder nicht vor Ort leben. Es ist wichtig, damit professionell umzugehen und nicht alles zu nah an sich heranzulassen. Ich denke, ich habe inzwischen genügend Erfahrung in meiner Berufslaufbahn gesammelt und gelernt, damit umzugehen. Und ich suche mir in meiner Freizeit einen Ausgleich zum Beruf.“
Ihre KlientInnen freuen sich über Ihre vielseitigen Unterstützungen und Hilfestellungen im Alltag. Inwiefern erleben auch Sie eine emotionale Bereicherung durch Ihre Tätigkeit?
„Natürlich freue ich mich über die Dankbarkeit, die zurückkommt. Besonders toll finde ich aber den Moment, wenn ich einem älteren Menschen zeigen konnte, dass es nicht darum geht, was man alles nicht mehr kann, sondern vielmehr darum, was trotz des hohen Alters noch möglich ist.“
Gab es im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Gemeindeschwester plus ein besonderes Erlebnis, welches Sie teilen möchten?
„Sehr herzlich fand ich eine Terminanfrage, die erst kürzlich per Email reinkam, sie war indirekt auch eine Einladung zum 80. Geburtstag. Ansonsten empfinde ich es immer als etwas Besonderes, wenn meine Beratung zum gewünschten Erfolg führt und die Klientinnen und Klienten dadurch wieder mehr Lebensqualität erfahren.“
Gemeindeschwester plus Sandra Bittmann ist telefonisch unter 06131/123245 und per Email an sandra.bittmann@stadt.mainz.de zu erreichen.
Mandy Kramer