
ESSENHEIM – Ein lauer Sommerabend ohne störenden Flugverkehr, das eigene Weingut als Bühne, ein mit mehr als 250 Menschen voll besetzter Hof, regionale Speisen und die passenden Tropfen aus dem Keller: Andreas Wagner weiß, wie man einen Krimi zum Leben erweckt. Der Winzer und Historiker aus Essenheim, seit Jahren gefeierter Autor von Rheinhessen-Krimis, zog seine Zuhörerinnen und Zuhörer auch bei der Vorstellung seines neuesten Romans „Winzergrab“ von der ersten Minute an in seinen Bann.
Wagner entführt die Leser einmal mehr in seine Heimat, das Selztal. Dort wird bei einer Funzelfahrt durch die Weinberge die Tochter des bekanntesten Winzers des Dorfs tot aufgefunden – ermordet zwischen den Reben! Ein Schock, der schnell zum Fall für Kurt-Otto Hattemer wird – jenen eigenwilligen Winzer im Ruhestand, den Wagner-Fans längst ins Herz geschlossen haben.

Eigentlich könnte Hattemer seinen Lebensabend genießen: mit Hausmannskost (vor allem seiner heißgeliebten Dosenwurst), seinem Traktor, der seine Mobilität sichert, und den Weinbergen vor der Haustür. Doch immer wieder stolpert er hinein in die dunklen Geheimnisse seiner Nachbarschaft. Und auch diesmal gerät er zwischen streitende Winzerkollegen, gierige Erben und einen dubiosen Journalisten.
Selbst auf seinem alten Traktor oder eher widerwillig in Laufschuhen – angetrieben von Ehefrau Renate, die um seine Gesundheit bangt – kann er das Ermitteln einfach nicht lassen. Wagners Figuren wirken so echt, dass man meint, sie persönlich zu kennen: die misstrauischen Erben, die zerstrittenen Winzer, die schweigsamen Dorfbewohner mit den Abgründen in ihren Seelen und Kellern. Es sind Charaktere, die man sich mühelos in einer Fernsehserie vorstellen könnte – rau, kauzig, aber immer authentisch.

Der Autor betont schmunzelnd: „Die Figuren entspringen alle meiner Fantasie. Reale Vorbilder würden mich zu sehr einschränken.“ Bis auf die „drei lebenden Gardinen“ – Sinnbild für ältere Dorfbewohnerinnen, die verborgen hinter ihren Gardinen, alles mitbekommen, was auf der Straße passiert. Sie haben sich in seinem Buch wiedererkannt und ihn morgens beim Bäcker „gestellt“. Böse waren sie allerdings nicht, eher geschmeichelt.
Gruselig seine Schilderung der Gottesanbeterin zwischen den Reben, die ihren Gatten nach dem Geschlechtsakt genüsslich verspeist. Herzzerreißend, wie Wagner die Gefühlslage der von den Brautjungfern gemobbten Braut beschreibt, die dann auch noch die Tote findet – in einer für sie wahrlich prekären Situation.
Wagners Premierenlesung war eines Schauspielers mit komödiantischem Hintergrund würdig – lebendig, spannend, humorvoll und mit spürbarer Heimatliebe. Seine kurzen Ausflüge zur Zusammenarbeit mit Lektorin und Verlag, deren Verbesserungsvorschläge in häufig nicht überzeugen, zeigen das Spannungsfeld, in dem sich Autoren oft befinden.

Wagner dazu: „Ich wollte den Roman „Funzelfahrt“ nennen. Angeblich weiß aber kein Leser außerhalb von Rheinhessen, was das ist.“ Der Vorschlag des Verlags, „Winzergrab“, setzt sich daher durch. Er passt allerdings nicht wirklich zum Geschehen. Der Kompromiss wurde gefunden, weil Wagner auch im hohen Norden Deutschlands liest – und daneben unter anderem noch in einer Mainzer Straßenbahn und in einem Windrad.
„Winzergrab“ selbst ist ein Krimi, der packende Spannung mit einem kräftigen Schuss rheinhessischem Humor verbindet: mal derb, mal feinsinnig, aber immer treffsicher. Auch den Herausforderungen, denen sich Winzer heutzutage stellen müssen, werden einige Abschnitte gewidmet. Ein Buch, das zum herzhaften Lachen verführt, aber auch schaudern lässt, und das zeigt, dass Familiengeheimnisse manchmal tiefer reichen als die Wurzeln der Reben im Selztal.
Fazit: Unbedingt lesen. Für Wagner-Fans sowieso – für alle anderen die perfekte Gelegenheit, einen Autor zu entdecken, der Rheinhessen mit viel Herzblut, historischen Fakten und scharfem Blick erzählt.
Das Buch ist im Verlag Emons erschienen, ISBN 978-3-7408-2481-5.