Start Gesellschaft Zwischen Schrankhütern und Wanderbüchern Studierende untersuchen Mainzer Bücherschränke

Zwischen Schrankhütern und Wanderbüchern Studierende untersuchen Mainzer Bücherschränke

Kursleiterin Anke Vogel gewährt mit Studentinnen Alexandra Rübberdt, Elena Marija Katt und Franziska Dietrich den Blick auf die Studienarbeit am Bücherschrank in der Hauptstraße in Mombach. Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

MOMBACH – Ende Mai tauchten auf den Buchrücken in den öffentlichen Bücherschränken in Mainz merkwürdige farbige Aufkleber auf. Am Bücherschrank in der Mombacher Hauptstraße lüftete Dr. Anke Vogel vor Kurzem das Geheimnis. Sie waren Teil einer Studie zur Frage, wie gut öffentliche Bücherschränke in Mainz funktionieren. Untersucht haben jene „Akzeptanz öffentlicher Bücherschränke“ 44 Studierende der Buchwissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Das Projekt war Teil des Seminars „Buch in der Gesellschaft“ und wurde vom Gutenberg-Institut für Weltliteratur und schriftorientierte Medien betreut. In Mombach nahmen die Studenten an diesem Tag eine weitere Zählung und Erfassung vor. Neben methodischen Erläuterungen bot sich dabei auch ein Blick auf die konkrete Arbeit vor Ort.

„Die Idee entstand nach dem letztjährigen Mainzer Kolloquium zum Thema ‚Versteigert, Verramscht, Entsorgt‘“, erklärt Kursleiterin Vogel in Mombach. Damals habe die Buchwissenschaftlerin Jutta Bertram von der Hochschule Hannover über ihre Forschung zu Bücherschränken berichtet. Der Vortrag fand bei den Studierenden wie Dozierenden großen Anklang. Aus dem Wunsch heraus, ein solches Projekt auch in Mainz durchzuführen, entstand eine Kooperation mit Hannover. Untersucht wurden insbesondere jene Schränke, die 2011 im Rahmen der „Stadt der Wissenschaft“ aufgestellt wurden – ehemalige Schaltschränke, die von Auszubildenden der Mainzer Stadtwerke zu Bücherschränken umgebaut wurden. Insgesamt 15 Standorte in verschiedenen Stadtteilen seien heute noch in Betrieb.

Im Mittelpunkt des Seminars stand die Frage, wie sich Bücher in diesen Schränken bewegen: Was wird entnommen, was bleibt liegen, was wandert zwischen den Stadtteilen? Dazu markierten die Studierenden zum Semesterbeginn alle Bücher in den Schränken mit farbigen Punkten. Da die Farben den Stadtteilen zugeordnet waren, konnte nachvollzogen werden, ob Bücher ihren Standort gewechselt haben. „Wir nennen sie Wanderbücher“, sagte Vogel. Die Grundlage stellten insgesamt neun Erhebungen dar, die über einen Zeitraum von fünf Wochen stattfanden – beginnend am 20. Mai. Medien wie DVDs oder Puzzles, die zusätzlich eingestellt wurden, flossen ebenfalls in die Dokumentation ein.

In das Projekt war Oliver Valentin eingebunden, der seitens der Stadt für die sogenannten Offenen Bibliotheken zuständig ist. Parallel dazu wurden neu hinzugekommene Bücher ohne Markierung gezählt. „Zwischen den Zählungen haben wir 20, 30, teilweise auch 50 neue Bücher gezählt.“ Ein Vergleich mit Hannover zeigte Unterschiede: Während dort laut Abschlusszählung rund 12,7 Prozent der Bücher übrigblieben, zeigen die Mainzer Schränke eine größere Bandbreite – von 6,5 bis knapp 45 Prozent. In Mombach liegt der Anteil an verbliebenen Büchern aktuell bei rund 17 Prozent. Den allergrößten Umschlag sahen die Studenten in Hartenberg-Münchfeld, wo vor der finalen Erhebung nur rund sechs Prozent der ursprünglich eingestellten Bücher da waren. Auf dem Lerchenberg blieben knapp 60 Prozent unberührt.

Einige Standorte – wie Lerchenberg – seien laut Vogel schlechter erreichbar oder durch Baustellen beeinträchtigt. „Das erklärt womöglich, warum manche Schränke weniger genutzt werden.“ Dass nicht wenige Bücherschränke, wie auch jener in Mombach, Erscheinung haben, ist nicht Gegenstand der Studie, stellt aber ein trauriges Faktum dar. Dies zu ändern, würde der Stadt Gutenbergs nicht schaden. Ein ferneres Ziel, von dem Vogel sprach, wäre es, die langfristigen Trends bei der Nutzung öffentlicher Bücherschränke besser zu verstehen und Empfehlungen für die künftige Betreuung und Platzierung solcher Angebote zu entwickeln.

Gregor Starosczyk-Gerlach