OBER-OLM – Am 19. April 1899, genau vor 125 Jahren, wurde die neugotische Kirche St. Martin in Ober-Olm von Bischof Paul Leopold Haffner geweiht. Auf den Tag genau möchte die Kirchengemeinde dieses Datum gemeinsam mit Haffners Nachfolger, dem Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, feiern. Das Jubiläum bietet zugleich die Gelegenheit, Abschied vom bisherigen Pfarrer Michael Leja zu nehmen. (Lesen Sie dazu den Text auf Seite 3 dieser Ausgabe).
Schon im frühen Mittelalter richteten die Christen im Ort, an dem heute die Jubiläumskirche steht, ihre Gebete gen Himmel. Von den Vorgängerbauten, deren Ursprünge nach Ansicht der Historiker in die spätmerowingische oder karolinische Zeit reichen, zeugen heute noch Steinmetzornamente. Diese sind im Turm verbaut und von außen an der Südseite sichtbar. Eine Urkunde weist den ersten Pfarrer von Ober-Olm im 13. Jahrhundert nach. Erbaut wurde die Kirche im neugotischen Stil. Mit der Neuordnung in Europa nach dem Wiener Kongress (1815) stand in den katholischen Kreisen das klassische, weil katholische Mittelalter hoch im Kurs.
Auf der Erhebung über der Ortsmitte platziert, fügt sich das Gotteshaus malerisch in die dörfliche Umgebung ein. Beim Betreten durch das Südportal überrascht an sonnendurchfluteten Tagen das Lichtspiel der bunten Glasfenster. Maria, Josef, Jesus und seine Großmutter Anna: alle sind sie vertreten. Sankt Martin blickt von einem der Fenster im Altarraum herab. Links des Eingangs beweint Maria ihren toten Sohn Jesus. Seit 500 Jahren spiegelt sich in ihrem Antlitz unendliche Trauer wider. Die Pieta stammt aus dem frühen 16. Jahrhundert, zu einer Zeit als Martin Luther seine Thesen noch nicht veröffentlichte.
Die farbenfrohe Bemalung der Wände scheint indes die beglückenderen Botschaften des christlichen Glaubens zu spiegeln. Die floralen Motive und Malereien blieben 25 Jahre verborgen. Zum Glück für den Betrachter wurden sie nicht vernichtet. In den 1990er Jahren von Dispersionsfarbe befreit und restauriert, fügen sie sich in die neugotische Architektur ein. Die ursprüngliche Bemalung ist aber an einzelnen Mauerstellen zu sehen.
Dort wohin die Pflanzenzweige und Distelmalereien die Wände emporwachsen, treffen die Augen auf die holzvertäfelte und ebenfalls filigran bemalte Decke. Ornamente wie diese sind selten in Kirchen der Region zu finden.
Vieles ließe sich noch über die Jubiläumskirche sagen. Um die Schätze zu entdecken und die außergewöhnliche Atmosphäre zu spüren, reicht ein Ausflug nach Ober-Olm – vielleicht sogar zum Jubiläumsgottesdienst. Mit den Feierlichkeiten der Pfarrkirche St. Martin und deren musikalischen Gestaltung, die Mitglieder der verschiedenen örtlichen Musikgruppen übernehmen, wird sie zu ihrem eigentlichen Zweck erweckt.
Gregor Starosczyk-Gerlach