Start Allgemein Hexenwahn oder Hexenwerk? Bodenheim verliert 10 % seiner Bevölkerung

Hexenwahn oder Hexenwerk? Bodenheim verliert 10 % seiner Bevölkerung

3 Ehrenamtliche Mitarbeiter der Tourist Info entwickelten den Rundgang und präsentieren ihn den Gästen. Vollgespickt mit Infos aus der Zeit 1612-1614 Foto: Wolf-Ingo Heers

BODENHEIM – Das Thema Hexen fasziniert die Menschheit seid Menschengedenken. Immer wieder tauchen Hexen in den Geschichten der Städte und Dörfer auf. Natürlich auch in Bodenheim. Lange Zeit lebten vermeintliche Hexen unbescholten aber beobachtet unter den Bürgern, bis 1612 auch in Bodenheim die Hexenjagd begann.

Eine dunkle Zeit auch für Bodenheim, die Tourist-Info bietet hierzu fachkundige Führungen an. In den Gewändern des damaligen Adels – heute jedoch mit festen Schuhen – führen die Ehrenamtlichen durch Bodenheim und berichten über die Zeiten von damals.

Laut Volksmund waren Hexen meistens Frauen, die einen „Bund mit dem Teufel“ geschlossen – oder sogar eine fleischliche Verbindung mit ihm eingegangen sein sollen. Aber auch Verwünschungen oder negative Besprechungen von Tieren, die bald darauf starben, wurde ihnen zugerechnet.

Hinzu kamen noch politische Entwicklungen: Bodenheim war zu Beginn des 17. Jahrhunderts nahezu vollständig vom Kurmainzer Territorium umgeben. Das Ritterstift St. Alban war im Laufe der vergangenen Jahrhunderte sozusagen in die Stellung eines Landesherrn hineingewachsen. Die Grenzen zur Kurpfalz waren nicht weit entfernt. Es ging also um Leibeigenschaften, die Abgaben des Zehnten, Gerichtsbarkeit und vieles mehr. Die Streitpunkte waren lokale Faktoren, politische und wirtschaftliche Interessen.

Weiter erschwerend war, dass es in dieser Zeit eine „Kleine Eiszeit“ gab. Das Getreide auf dem Acker wurde nicht reif, es regnete ungeheuer viel, Mensch wie Tier hungerten, Brot und andere Lebensmittel waren unerschwinglich teuer. Die Angst ging um – die Menschen beäugten sich.

Die Hexenjagd hielt sich über mehrere Jahrhunderte. Bodenheims erste, als Hexe bezichtigte Frau war Merg Scholl. Sie kam aus der Kurpfalz und war mit ihrem Mann Heinrich in Bodenheim ansässig. Dieser starb jedoch recht früh, so dass sie alleine zurechtkommen musste. Merg Scholl wurde am 8. Oktober 1612 verhaftet und war die erste von 32 Personen, die zw. 1612 und 1615 angeklagt wurden. Bei einer Bevölkerungsdichte von ca. 300 Personen sind diese 32 Personen mehr als 10 %! Von den Angeklagten starben auf dem Scheiterhaufen 25 Menschen, 2 weitere in der Haft. 4 Personen wurden aus dem Bollesje befreit, 1 sogar wieder entlassen. Darunter waren auch 3 Männer.

Europaweit wurden 3. Mio. Menschen als Hexen angeklagt, in Deutschland fanden knapp 30.000 den Tod durch den Scheiterhaufen oder starben an den Qualen der Folter.

Da die Angeklagten ihre Prozesse auch selbst bezahlen mussten, legte das Gericht Wert darauf, dass das Urteil „Tod auf dem Scheiterhaufen“ umgesetzt wurde – sonst hätten die Gerichtsbeteiligten keine Entlohnung für ihre Mühen bekommen. Also wuchs auch durch den Fakt die Zahl der Todesurteile.

Personen, die sich durch ihr außergewöhnliches Verhalten in der Öffentlichkeit „verdächtig“ machten, wurden von der Bevölkerung zu Hexen erklärt und angezeigt.

Bei Merg Scholl war da nicht viel „zu holen“. Sie war bettelarm, lebte von der Hand in den Mund und wohnte am Ortsrand. Sie wurde bezichtigt, eine Buhlschaft mit dem Teufel zu haben, ein Loch gegraben und dort Dinge gegen andere Bürger hinterlegt zu haben. Hinzu kam, dass sie eine Liebschaft mit dem Totengräber gehabt haben soll. Ferner soll sie den Sohn des Bäckers und Tagelöhners Blumenscheid auf eine Art angesehen haben – dass er darauf umgehend verstarb.

Andere Hexen wurde vorgeworfen „mit Schadenszauber“ Mensch und Tier zu schädigen. Beim Hexensabbat gingen mehrere Hexen eine „fleischliche Verbindung mit dem Teufel ein“ oder führten Aufträge des Teufels aus.

Merg Scholl wurde gefangen genommen und ins Bollesje gebracht. Dieses Gefängnis ist im Keller des Bodenheimer Rathauses, denn in den oberen Geschossen tagte das Gericht. Ein Verließ, in dem es dauerhaft durch das Grundwasser feucht, manchmal auch nass wurde. Keine Toilette, nur Stroh als Unterlage. Teilweise waren sie zu viert im Verließ.

Immer wieder wurde Merg Scholl aus dem Verließ geholt, um weitere Qualen durch Folter zu erleiden – schließlich wollte das Gericht, dass sie gesteht eine Hexe zu sein. Drei Folterdurchgänge mit einer Stunde Pause an einem Tag war der Standard. Daumen- und Beinschrauben aber auch der Spanische Stiefel, der mit heißem Pech gefüllt wurde, sollten die Angeklagten gefügig machen.

Sie wurden entkleidet auf der Suche nach einem Muttermals – dem „Stempel des Teufels“. Anschl. bekamen sie das Hexenhemd übergestreift. Zusätzlich bemühte das Gericht einen Wahrsager aus Bretzenheim, der dann die Anklage bestätigte – ein letzter und meist endgültiger Beweis.

In der Hoffnung, dass die Tortouren ein Ende fanden, beschuldigten die Gefolterten andere im Ort, als Hexe tätig zu sein – der sogenannten „Besagung“. Aber diese Tat half den Angeklagten nicht – das Gericht verurteilte sie trotzdem.

Die bewusst unmenschlichen Haftbedingungen waren als Foltermethode ein typisches Vorgehen von Kurmainz, um Geständnisse zu erpressen. Die Inhaftierten hatten nicht die geringste Möglichkeit, ihre Unschuld zu beweisen – Ihre Schuld stand von Anfang an fest. Es waren rechtswidrige Prozesse: keine Beweisaufnahme, Denunziantentum, erzwungene Geständnisse, keine Verteidigung.

Das Urteil wurde vollstreckt: Dazu wurden die Hexen aus dem Bollesje geholt und zu Fuß zum Anger geführt. Männer wurden mit einem Strick um den Hals geführt. Es läuteten die Kirchenglocken – so bekam die Bevölkerung mitgeteilt, dass eine Verbrennung stattfand. Der A

Anläßlich der 1.250 Jahrfeier Bodenheims wurde die Geschichtsspirale im Dolles-Park errichtet. Ein Abbild von der letzten Hexe Elisabeth Metzler ist dort dargestellt.
Foto: Wolf-Ingo Heers

nger war eine große gemeindliche Wiese und in etwa dort, wo heute der Bahnhof ist.

Merg Scholl bestand darauf, im Stehen verbrannt zu werden – das war im Frühjahr 1613 – ein ¾ Jahr nach ihrer Verhaftung!

Die letzte als Hexe beschuldigte Person war Elisabeth Metzler, sie wurde am 16.06.1614 verhungert im Bollesje tot von ihren Befreiern aufgefunden. Ihr zu Ehren hat die Gemeinde unter der Sitzbank an der Geschichtsspirale im Dolles-Park eine Statue legen lassen, um auf diese unmenschliche Zeit in Bodenheim hinzuweisen.

Die Gefahr eines drohenden Untergangs der Herrschaft und der Übergang von Bodenheim in das kurzpfälzische Territorium beendete der „Dreißigjährige Krieg“! Danach brachte der damalige Erzbischof die Scheiterhaufen zum Erlöschen.

Auch im kommenden Jahr bietet die Tourist-Info Bodenheim wieder Führungen zum Thema Hexenwahn an.

Wolf-Ingo Heers