OPPENHEIM – „Es ist nie zu spät zu lernen“, sagt Birgit Augustin – und das gilt sowohl für Technik als auch für gesellschaftlichen Wandel. Augustin, eine ehemalige Kriminalbeamtin, hat ein Ziel: Den Senioren in Oppenheim den Zugang zur digitalen Welt zu erleichtern und sie bei den technischen Veränderungen, die rasch voranschreiten, mitzunehmen. Schritt für Schritt will sie das tun. So wie das auch andere Digitalbotschafter aus Rheinland-Pfalz tun. Mit ihren Erfahrungen in der IT-Abteilung der Polizei bringt sie das technische Know-how, aber hat auch ein tiefes Verständnis für die Bedürfnisse älterer Menschen.
Augustin unterstützte zunächst bei dem bereits bestehenden Digitaltreff in Nierstein-Schwabsburg und erkannte, dass viele Senioren nicht die Möglichkeit haben, einfache digitale Anwendungen wie WhatsApp oder E-Mail zu verstehen. „Im Umgang mit Smartphones und Tablets sind sie unsicher, weil sie niemand an die Hand nimmt“, erklärt Augustin. Dies war der Anstoß für sie, auch in Oppenheim einen eigenen Digitaltreff zu gründen, da es dort bisher kein vergleichbares Angebot gab.
Dank der Kontakte zum Pflegestützpunkt vor Ort und der Unterstützung durch die Kreisverwaltung konnte sie den Digitaltreff ins Leben rufen. Das erste Treffen ist am 25. Oktober, um 10 Uhr, weitere folgen an jedem letzten Freitag im Monat. Nur der Dezember wird ausgelassen. Unterstützt wird sie von weiteren Digitalbotschaftern, die sie in einem Netzwerk mit dem Treffpunkt in Schwabsburg verbindet.
Der erste Digitaltreff in Oppenheim wird bewusst anfangs ohne festes Programm gestaltet. Die Teilnehmer bestimmen selbst, welche Fragen sie haben und was sie lernen möchten. „Ob es um WhatsApp geht, um E-Mails oder das Verschieben von Fotos – die Leute sollen die Möglichkeit haben, ihre ganz individuellen Fragen zu stellen“, erklärt Augustin. Damit möchte sie den Teilnehmern die Scheu vor der Technik nehmen und sie Schritt für Schritt in die digitale Welt einführen. Da der Platz im Pflegestützpunkt begrenzt ist, wird das Treffen vorerst auf acht Teilnehmer beschränkt bleiben.
Der digitale Wandel berührt ältere Menschen stark, sagt sie. „Viele fühlen sich ausgeschlossen, weil sie nicht mit den technologischen Entwicklungen mithalten können. Sie nehmen es als eine Form der Altersdiskriminierung wahr, da immer mehr alltägliche Dienstleistungen und Informationen nur noch digital verfügbar sind.“ Die Diskrepanz zwischen der digitalen Welt und den Fähigkeiten der älteren Generation ist für Augustin ein gesellschaftliches Problem. „Wenn Senioren nicht mehr in der Lage sind, ihren Arzttermin ohne SMS oder eine digitale Plattform zu verwalten, fühlen sie sich hilflos“, sagt Augustin und deutet damit auf die Schwierigkeiten hin, die sie mit der Einführung der Digitalen Patientenakte erahnt.
Sie berichtet, dass viele Senioren sich scheuen, ihre Kinder um Hilfe zu bitten, weil diese oft keine Geduld haben, die Dinge zu erklären. Die Lösung für Augustin und ihre Mitstreiter: Geduld und Verständnis. „Wir erklären den Senioren auch gerne etwas dreimal, wenn es nötig ist“, betont sie. Damit grenzt sie sich bewusst von der Hektik ab, die viele Jüngere im Umgang mit Technik zeigen.
Augustin sieht ihre Arbeit als Teil einer größeren Bewegung. Sie vernetzt sich mit dem Seniorenbeirat der Stadt Oppenheim und dem Seniorenbeirat der VG Rhein-Selz, um die Bedürfnisse der älteren Generation stärker in den Fokus der politischen Entscheidungen zu rücken. „Über 30 Prozent der Bevölkerung hier in Oppenheim sind Senioren, da muss einfach mehr getan werden“, fordert sie.
Augustin bleibt mit ihrer Arbeit im Digitaltreff „am Ball“. Für sie ist es nicht nur eine persönliche Herausforderung, mit den digitalen Entwicklungen Schritt zu halten, sondern auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Mit Geduld und Empathie will sie Senioren in die digitale Welt einführen und ihnen das Wissen an die Hand geben, das sie brauchen, um sich zurecht zu finden.