BODENHEIM – Grit Leoff, Inhaberin der Buchhandlung „Buch, Laden. Ruthmann“ in Bodenheim, staunte nicht schlecht, als sie die Gäste zur Lesung begrüßte: Zum ersten Mal waren fast ebenso viele Männer wie Frauen ihrer Einladung gefolgt. Das war natürlich dem Thema geschuldet, ging es doch offensichtlich um Fußball und mit Ronald Reng um einen Sportjournalisten, der sich als Sachbuchautor beim Thema Fußball seit langem einen Namen gemacht hatte, und dann behandelte das Buch auch noch das legendäre Spiel an einem Samstag im Juni 1974, als sich zwei deutsche Mannschaften im geteilten Deutschland in Hamburg gegenüberstanden. Wer jetzt allerdings glaubte, bei der Lesung drehe sich alles nur um Fußball, der hatte sich getäuscht.
Peter Arens, Historiker und langjähriger Leiter der ZDF-Hauptredaktion Geschichte und Wissenschaft, führte gewohnt launig durch den Abend. Dass ein Fußballspiel als zeitgeschichtliche Klammer für eine ganze Epoche taugte, wäre Historikern in jenen Siebzigerjahren wohl frevelhaft erschienen. Für Arens hingegen öffneten die persönlichen Geschichten und Schicksale, die Reng in seinem Buch sichtbar werden ließ, die Tür zu seinem eigenen Leben als fußballbesessener Dreizehnjähriger. Autor und Moderator spielten sich gekonnt die Bälle zu, zur großen Freude des Publikums, vor dessen Augen die Siebziger mit all ihren politischen Geschehnissen, aber auch Ängsten, im geteilten Deutschland auferstanden.
Der Tag des Fußballspiels zwischen der DDR und der BRD gehörte in eine Zeit, in der das eigentlich Unnatürliche gelebte Realität war: Deutschland war geteilt. In der Vorstellung der Deutschen würde dieser Zustand auch lebenslang so bleiben. Vor dieser Gewissheit traten sich die beiden Mannschaften an einem Samstag im Juni in Hamburg gegenüber. Man wusste nichts voneinander. Wie bereiteten sich die „verfeindeten“ Staaten auf diesen Tag vor? Wie erlebten Spieler, Politiker und Zeitgenossen diesen Tag? Welche Bedeutung maß man dem Ausgang des Spiels später beiderseits der Mauer zu? Auf all diese Fragen gibt das Buch umfassende, spannende und realistische Antworten.
Der Autor begab sich drei Jahre lang in Recherche-Klausur. Er durchforstete bundesdeutsche und Stasi-Archive, machte sich auf die Suche nach Zeitzeugen, die diese Jahre erlebt hatten. Er interviewte damalige Spieler und Politiker und schrieb das Buch aus der Sicht von 1974 – als ob er selbst dabei gewesen wäre. Basierend auf zahlreichen Gesprächen, unter anderem mit Günter Netzer und Matthias Brandt, Sohn des Bundeskanzlers, lässt Reng in seinem Buch diesen einzigartigen alltagsgeschichtlichen Moment lebendig werden. Matthias Brandt erinnerte sich im Interview an seine schwere Enttäuschung, als Vater Willy im Mai 1974 von seinem Amt als Bundeskanzler zurücktrat und es daher keine Karten für das Spiel mehr gab. Viele solche persönlichen Erzählungen bereichern die nackten Tatsachen, so dass das Buch „das Damals“ ebenso illustriert wie unser heutiges gesamtdeutsches Bewusstsein.
Dass ein Fußballspiel viel mehr ist als „einfach nur ein Fußballspiel“, davon erzählt dieses außergewöhnliche Buch. Es macht die WM 1974 – Deutschland wurde dann auch noch Weltmeister – zu einem magischen, universalen Moment in der deutsch-deutschen Geschichte. Aus diesem Grund werden auch Menschen, die nicht unbedingt fußballbegeistert sind, das Buch kaum aus der Hand legen können. Das Gestern mit dem Heute zu vergleichen und diese Zeit nochmals Revue passieren zu lassen, gelingt dem Autor auf hervorragende Weise.
Ronald Reng, 1970 in Frankfurt geboren, machte sich als Autor von erzählenden Sachbüchern einen Namen. Sein Werk über den vergeblichen Kampf des Fußball-Nationaltorwarts Robert Enke gegen die Depression war ein internationaler Bestseller. Rengs Bücher wurden vielfach prämiert: Er erhielt unter anderen dreimal den Preis „Fußballbuch des Jahres“ sowie den renommierten Preis „NDR Kultur Sachbuch des Jahres“.