LAUBENHEIM – Wer das beschauliche Laubenheim nur als Mainzer Stadtteil am Rhein kennt, der erlebte kürzlich eine geschichtliche Überraschung: Die Kultur- und Weinbotschafterin Claudia Stein führte für den Heimat- und Verkehrsverein Laubenheim rund 20 interessierte Gäste auf einem Rundgang durch das historische Herz des alten Winzerdorfs. Ihr Schwerpunkt lag diesmal auf der französischen Besatzung und dem Ortsplan von 1810. Wie bei allen Führungen begeisterte sie die Zuhörenden mit einem feinen Gespür für Geschichte, Anekdoten und Ortskenntnis.
Startpunkt war das markante Wiegehäuschen, einst Kontrollpunkt für die Ein- und Ausfuhr von Waren. Von dort ging es zunächst ein Stück in die Hans-Zöller-Straße zum ehemaligen Zehnthof von St. Viktor „Am Alten Spritzenhaus“, dem ältesten Haus Laubenheims aus dem Jahr 1585. Einst diente es als Lager- und Verwaltungsort der Mainzer Benediktinerabtei. Claudia Stein schilderte anschaulich, wie hier bis ins 18. Jahrhundert der „Zehnte“ – also ein Teil der Ernte – an die Kirche abgeliefert wurde.

Zurück über den Marktplatz, dessen heutige Bebauung teilweise noch die Dorfstruktur des 18. Jahrhunderts erkennen lässt, führte der Weg in die Pfarrgasse. Dort wurde zunächst das ehemalige Schultheißhaus, auch „Domäne“ genannt, vorgestellt – jahrhundertelang das Verwaltungszentrum des Dorfes. Auf der gegenüberliegenden Seite zog das Frühmesserhaus die Aufmerksamkeit auf sich, einst Wohnsitz eines Priesters, der täglich die Frühmesse las.
Ein kurzer Anstieg brachte die Gruppe in den Dorfgraben, wo ein Halt an der katholischen Kirche Gelegenheit gab, über ihre wechselvolle Geschichte zu sprechen. Claudia Stein spannte hier einen Bogen von mittelalterlichen Ursprüngen bis zur Neuzeit und verwies insbesondere auf die französische Besatzungszeit ab 1797, in der Laubenheim Teil des Departements Donnersberg wurde. Anschaulich berichtete die Kulturbotschafterin, welche Vor- und Nachteile diese Besatzung mit sich gebracht hatte. Die Einführung des französischen Wirtschafts- und Rechtssystems („Code Napoléon“) führte zu einem Modernisierungsschub und beachtlichen Fortschritten. Negativ wurden insbesondere die Steuern, die Rekrutierungen und damit hohen Belastungen für die Gemeinde erwähnt, die dafür hohe Kredite aufnehmen musste. Die Säkularisierung führte außerdem zu einem Rückgang der Schulbildung, da die kirchlichen Lehrer nun nicht mehr bezahlt wurden und die meisten Kinder keine Möglichkeit mehr hatten, eine Schule zu besuchen. Und im harten Winter 1794/95 zerstörten die französischen Truppen nicht nur Weinstöcke und Obstbäume, sondern auch zahlreiche Fachwerkgebäude, um Brennholz zu gewinnen. Zum Opfer fielen neben der Kirche samt Inneneinrichtung und Orgel auch das heutige Pfarrhaus, das Rathaus auf dem Marktplatz, der Zehnthof von St. Viktor und sieben weitere Gebäude. Mit dem Frieden von Lunéville 1801 wurde das linksrheinische Ufer französisch.

Weiter ging es abwärts Richtung Bodenheim, vorbei am stattlichen Erthaler Hof, der im 18. Jahrhundert von der Adelsfamilie Erthal errichtet wurde, gefolgt vom Marienhof und dem früheren Kappelhof, dessen Name auf eine Kapelle hinweist, die hier einst stand. Eine besondere Überraschung bot sich den Kulturinteressierten beim Betreten des wunderschönen Innenhofs des Marienhofs. Dessen Eigentümer in dritter Generation, Ralf Göhlen, führte die Besucher persönlich durch die eindrucksvollen Räume des ehemaligen Weinguts. Der Weinbau wurde vor rund zehn Jahren aufgegeben, heute dient das Anwesen als beliebte Event-Location.

Über einen schmalen Pfad gelangte die Gruppe zur Mauer des alten Parks im Brühl. Interessant zu erfahren: Laubenheim wurde im Jahre 773 erstmals urkundlich genannt (Journal LOKAL berichtete hier: https://journal-lokal.de/erstes-adalfrid-und-songart-schenkungsfest-in-laubenheim/). Die Grenzen des Ortes markierten neben der Mauer auch die drei seit 1481 erwähnten Pforten: die Kirch-, Mers- und Hinterpforte, jeweils Richtung Hechtsheim, Rhein und Bodenheim ausgerichtet. An der alten Mauer wurde nicht nur über die ehemalige Dorfumrandung von 1810 gesprochen, sondern auch über die Entwicklung Laubenheims im 19. Jahrhundert. Am Ende der Oppenheimer Straße wartete schließlich der letzte Stopp: der imposante Mainzer Hof, früher Sitz wohlhabender Gutsbesitzer. Auch wenn ein Betreten nicht möglich war, wusste Claudia Stein auch von außen einiges über die Architektur und die Geschichte des Anwesens zu berichten. Nach rund zwei Stunden endete der Rundgang wieder am Ausgangspunkt – nicht ohne den verdienten Ausklang bei einem guten Glas Laubenheimer Wein.

Die teilweise sehr fachkundigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich immer wieder mit interessierten Fragen einbrachten, erlebten einen unterhaltsamen und lehrreichen Abend. Trotz wechselhaften Wetters hielten das Interesse und die Diskussionen bis zum Schluss an – nicht zuletzt dank Claudia Steins lebendiger und fundierter Erzählweise. Ihr gelang es einmal mehr, die Geschichte Laubenheims nicht nur greifbar, sondern auch genussvoll zu vermitteln.
Weitere Termine für Führungen durch Laubenheim und Informationen zu Veranstaltungen der Kultur- und Weinbotschafterinnen finden Sie auf der Webseite https://www.kultur-und-weinbotschafter.de/rheinhessen/angebote.
Sabine Longerich