HECHTSHEIM – Der heute 85 Jahre alte Willi Schreiber ließ es sich bei der Veranstaltung des Vereins Hechtsheimer Ortsgeschichte nicht nehmen, selbst vor das zahlreich erschienene Publikum zu treten. Als einer der letzten Augenzeugen der „Letzten Kriegstage in Hechtsheim und des Mordes am 20. März 1945“ wollte er erzählen, was er als Vierjähriger gemeinsam mit seinem Cousin aus dem Schlafzimmerfenster seiner Tante mit Blick auf den Lindenplatz gesehen hatte. Und auch vom Beschuss der Flak auf der Hechtsheimer Höhe, den er in diesem Alter zusammen mit seinem Großvater beinahe hautnah miterlebte, erzählte er.
Unter dem Titel „Die letzten Kriegstage…“ hatte der Verein Hechtsheimer Ortsgeschichte zum Vortrag in das evangelische Gemeindezentrum eingeladen, wo Vorstandsmitglied Norbert Henke vom 1. Vorsitzenden Ottmar Schwinn als Referent vorgestellt wurde. Mit Bildern vom Dorf Hechtsheim und seinen Bewohnern, von Bauern, Zwangsarbeitern und Gauleitern sowie Auszügen von Gerichtsurteilen untermauerte Henke seinen Vortrag. Ein Großteil der Zwangsarbeiter sei in der Landwirtschaft tätig gewesen. Als die Amerikaner über Ebersheim am 20. März anrückten, hätten sich Zwangsarbeiter verstecken wollen, berichtete Henke aus Erzählungen seiner Familie. Diese habe den Keller einer Feldscheune zur Verfügung gestellt. Nach Kriegsende verliert sich die Spur der Arbeiter.

Die Angst sei groß gewesen, Hechtsheim könnte noch in Kampfhandlungen einbezogen werden, berichtete Henke. Die Flak wurde zerbombt, die von Schülern bedient worden war. Willi Schreiber, so erzählt er, liegt derweil geschützt vom Körper seines Opas bäuchlings im Weinberg. Aus einer Trinklaune heraus sollen am 19. März 1945 drei Hechtsheimer beschlossen haben, gut sichtbar ein weißes Laken aus dem Dachfenster der Frühlingsschule zu hängen. Die ausgeführte Idee, auch am Glockenturm der katholischen Kirche, wurde den Dreien zum Verhängnis. Adam Schuch (59, Maurer), Matthias Meinhard (56, Maurer) und Karl Hamman (60, Sattler) mussten einen Tag, bevor die Amerikaner am 21. März nach Hechtsheim kamen, für ihre Idee mit dem Leben büßen. Auf Geheiß des Beauftragten für den Volkssturm im Gau, Kurt Schädlich, wurden sie zum Lindenplatz gebracht, wo noch eine Weile diskutiert wurde, was man jetzt noch mit ihnen machen solle. Laut Himmler-Befehl aber sollte jeder, der eine weiße Fahne aus dem Fenster hängt, erschossen werden. Und genau das geschieht vor den Augen der Angehörigen und vor den Augen des Kleinkindes Willi Schreiber. Schuch, Meinhard und Hamman sind tot. Zwölf Stunden später, so Henke, ist der Krieg in Hechtsheim vorbei. Die Amerikaner sind da.
Aus dem Publikum gab es Fragen, was mit Kurt Schädlich war, was aus ihm wurde. Er wurde 1959 für diese Tat zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Vier Jahre Kriegsgefangenschaft und 14 Monate U-Haft wurden davon abgezogen. Im September 1959 kam er nach Diez, am 28. Oktober 1959 wurde Schädlich auf Bewährung entlassen. Laut Henke sei er im Hessischen in den 60er-Jahren verstorben.
kga