
OPPENHEIM – Auf acht Stationen verbinden sich bei einer bevorstehenden Führung in Oppenheim die Poesie mit dem Gesang und der Geschichte zum Einklang: Oppenheim lädt nämlich zu einem Spaziergang für alle Sinne ein: Am Sonntag, 29. Juni, und Samstag, 6. Juli, jeweils ab 11.30 Uhr, beginnt ein literarisch-musikalischer Rundgang durch die Altstadt und die Weinlagen. Anlass ist das 800. Jubiläum der Verleihung der Stadtrechte – gefeiert wird das einmalige Datum quer übers Jahr. Bei den Führungen stehen Musik, Texte und Geschichten, die Oppenheim auf besondere Weise erfahrbar machen, im Vordergrund. So erklingt beispielsweise in der Katharinenkirche erklingt ein Kanon, der ergänzt durch die „Oppenheimer Rose“ sein wird.
Die Exkursion beginnt am Rathaus und schlängelt sich durch die Gassen und Straßen der Jubiläumsstadt. Im Beinhaus beispielsweise trifft die Musik auf den Ernst: Mit Liedern wie „Trinkers Testament“ oder „Stirb oder entsage dem Wein“ wird der Tod literarisch-melancholisch zu Gehör gebracht. Die Burgruine Landskrone wird – nach dem Erklimmen der Anhöhe – zum Schauplatz der dramatischen Erzählung „Geisterkampf auf der Landskrone“, begleitet von Liedern wie „Frater Kellermeister“.

Das „Trio Spätlese“ – Ulli Becker, Stefan Stoll, Klaus Degreif – interpretiert währen der Exkursion die Werke aus vier Jahrhunderten: angefangen bei den Volksliedern bis hin zu eigens bearbeiteten Trinkliedern mit Witz. Martin Baltrusch liest mit markanter Stimme Texte von Ricarda Huch, Wilhelm Waiblinger und anderen Autoren. Der Spaziergang endet schließlich auf dem Marktplatz mit einem literarischen Potpourri und Klassikern wie „Ergo bibamus“ oder „Werft den Wirt zum Fenster raus“.
Die Gegenwart dieser besonderen Inszenierung trifft im Jubiläumsjahr bisweilen auf eine noch sehr lebendige Erinnerung an das Leben vor Ort in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Bei einer bereits stattgefundenen Führung mit Degreif ging es beispielsweise um den Alltag der Oppenheimer in den 1940er- bis 1990er-Jahren, einer Zeit des „Quandelns“, als Butter, Kaffee und Zigaretten gegen Wein getauscht wurden. Degreif erinnerte die Führungsteilnehmer an nächtliche Kohlebesorgungen vom Lokomotiv-Tender mit „Karl-Otto“ – und an das geschäftige Treiben der Mainzer Straße, die eine erstaunliche Zahl von 52 Läden aufweisen konnte. Station für Station wurde eine verschwundene Einkaufswelt lebendig: die Wäscherei Volz als inoffizielles Kommunikationszentrum, die Eisdiele Doronzo, der Haushaltswarenladen Daucourt, die Bäckereien Feist, Sandel und Albers, das Gasthaus „Zum Schwanen“, Radio-Bauer – einer der ersten mit Fernseher, wo viele 1954 das WM-Endspiel sahen. Auch das Tapezierer-Geschäft seines Vaters und die Leihbücherei der Tante hatten dort ihren Platz.
Die beiden Spaziergänge – der eine poetisch und musikalisch, der andere biografisch und erzählend – zeigen Oppenheim in Bewegung. Zugleich helfen sie der Stadtgemeinschaft dabei, die wichtigsten Erinnerungen als einen Gesamtschatz für die kommenden Generationen der Oppenheimer zu bewahren. Dem Jubiläum sei Dank.
Gregor Starosczyk-Gerlach