
VG BODENHEIM – Wachsende Aufgaben und Anforderungen, fehlende Unterstützung von übergeordneten Stellen und jetzt auch noch eine neue Finanzpolitik des Landes und eine Neuausrichtung der Kommunalaufsicht: Für viele ehrenamtlich tätige Funktionsträger ist das alles eine unbefriedigende bis hin zu frustrierende Situation – wir haben bereits mehrfach darüber berichtet.
Im Kreis Germersheim, genauer gesagt in der Ortsgemeinde Freisbach, ist die Situation jetzt eskaliert. Dort ist der gesamte Gemeinderat inklusive des Bürgermeisters zurückgetreten, weil sie aufgrund der belastenden Situation nach eigenen Worten „den Auftrag der Wähler nicht mehr ausführen können.“ (Ortsbürgermeister Peter Gauweiler) Ein einmaliger Vorgang und – als ob wir nicht schon genug davon haben – ein deutliches Alarmsignal für unsere Demokratie.
Wir haben einmal in den Rathäusern der Verbandsgemeinde nachgefragt, ob eine solche Eskalation auch dort denkbar wäre. Die guten Nachrichten vorab: Noch ist niemand zurückgetreten und beabsichtigt auch nicht, es in naher Zukunft zu tun. Und zweitens haben (fast) alle Bürgermeister geantwortet – und zwar sehr ausführlich, was beweist, wie drängend das Problem ist.
Unisono beklagen die Bürgermeister, dass „ausgerechnet in den Kommunen, in den Keimzellen gesellschaftlichen Lebens, die Luft für die ehrenamtlich tätigen Entscheidungsträger immer dünner wird“ (Thomas Becker-Theilig, Ortsbürgermeister Bodenheim) Kern ihrer Kritik ist die absolut unzureichende Finanzausstattung der Kommunen, denen immer neue Aufgaben verpflichtend übertragen, während gleichzeitig freiwillige Leistungen nicht mehr genehmigt werden. „Der Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung ist ein gutes Beispiel dafür, dass immer mehr von den Kommunen gefordert, aber nicht ausreichend gegenfinanziert wir. Das reißt Lücken in den Gemeindesäckel!“ (Steffan Haub, Ortsbürgermeister Lörzweiler). Gleichzeitig werden die Kommunen darüber hinaus gezwungen, ab 2023 die Grund- und Gewerbesteuer zu erhöhen, ohne dass sich damit bei den Kommunen größere finanzielle Handlungsspielräume ergeben. Denn 80% der im Ort erwirtschafteten Steuern müssen über Umlagen den übergeordneten Verwaltungsebenen zur Wahrnehmung delegierter Leistungen abgetreten werden. Die bei Steuererhöhungen entstehende Kritik in der Bürgerschaft verbleibt dagegen in den Gemeinden.
Doch damit nicht genug: denn „nicht nur, dass die Umlage erhöht wird, nein, es wird auch noch die Ehrenamtsförderung eingestellt. Und dies mit dem Wissen, dass viele Vereine bedingt durch die Pandemie starke Einnahmeverluste hinnehmen mussten. Auch wurde die Sportstättenförderung eingestellt im Kreis.“ (Andreas Hofreuter, Ortsbürgermeister Harxheim) Wie, so seine berechtigte Befürchtung, soll unter diesen Voraussetzungen noch ein funktionierendes Kultur- und Gemeindeleben stattfinden.
Und was sagt die Landesregierung dazu? Von deren Seite wird argumentiert, dass die Gemeinden zunächst selbst die Einnahmeseite verbessern müssen und dabei alle Möglichkeiten ausschöpfen sollen. Dazu René Adler, Ortsbürgermeister von Nackenheim, dessen Gemeinde über Grundstücksverkäufe und Fördermittel aktuell noch einen ausgeglichenen Haushalt ausweisen kann: „Wenn ich lese, dass der Innenminister den Gemeinden rät Gewerbegebiete auszuweisen, um Steuern zu generieren, muss ich mich schon fragen, ob er das ernst meint. Denn: nicht jede Gemeinde kann oder darf Gewerbegebiete ausweisen und zunächst sind Investitionen nötig, bevor Einnahmen generiert werden (teilweise Jahre vorher: Grundstücksankauf, Planung, Entwicklung, Gutachten, Erschließung, Folgekosten). Diese Investitionen sind nicht möglich, wenn die Haushalts- und Kassenlage es nicht zulässt oder die Kommunalaufsicht den Haushalt nicht genehmigt.“
Und wie lautet das Fazit der Bürgermeister?
„Für die ehrenamtlich Aktiven in den Kommunen, ist das ein großes Dilemma. Diese engagieren sich täglich für die Bürgerinnen und Bürger, das Beste zu erreichen. Es fehlt jedoch zunehmend die Perspektive und die Kraft. Frustration breitet sich aus.“ (Thomas Becker-Theilig)
„Wir benötigen Sicherheit, Verlässlichkeit und Handlungsspielraum. Wenn Pflichtaufgaben nicht mehr ordentlich erfüllt werden können, weil sich Gemeinden Investionen nicht mehr leisten können, stimmt etwas nicht am System.“ (René Adler)
„Ehrenamtliches Engagement, auch in der Politik, wird mit solchen Einschnitten garantiert nicht gefördert.“ (Steffan Haub)
„Ich bin mir sicher, dass wenn alle „Neulinge“ wüssten, was auf sie zukommt, würde sich keiner mehr aufstellen lassen. (Andreas Hofreuter)
Alles in allem also keine gute Entwicklung und keine guten Aussichten.
Von Michael Türk