
HECHTSHEIM – Wenn man ein Ortsportrait von Hechtsheim verfassen möchte, kann man sich natürlich darüber auslassen, dass …
- es urkundlich erstmals 808 als Hehhidesheim erwähnt wurde.
- das Wappen drei Hechte in Sternform zeigt.
- sich die Einwohnerzahl seit der Eingemeindung 1969 mehr als verdoppelt hat.
- das Hechtsheimer Gewerbegebiet seinesgleichen in Rheinhessen sucht.
- es zahlreiche Veranstaltungen/Feste sowie ein sehr aktives Vereinsleben gibt.
Schließlich, dass die Kombination aus urbaner Struktur und beschaulicher, ländlicher Seite das besondere Flair von Hechtsheim ausmacht.
Man kann aber auch einen anderen Weg beschreiten und einen Zeitzeugen heranziehen. So geschehen am 28. Juli 2020. Sven Hieronymus ist Ende der 60er Jahre als Zweijähriger mit seinen Eltern nach Hechtsheim umgezogen und lebte dort bis weit in die 70er Jahre hinein. In einem zweistündigen Spaziergang nahm sich der „Rocker vom Hocker“ die Zeit, um Journal LOKAL zu erzählen, wie er dort seine Kindheit und Jugend erlebt hat.
Der Rundweg verlief von der Ortsverwaltung über die Frühlingsstraße zur Lion-Feuchtwanger-Straße, durch die Mühlwege, die Heinrich-von-Meißen-Straße, das Mühldreieck, die Ludwig-Strecker-Straße zur Heuerstraße und zurück zur Ortsverwaltung.
Station 1: Eingang Frühlingsschule
„Hier bin ich zur Schule gegangen und habe Lesen und Schreiben gelernt. Ich war tatsächlich der zweitbeste Schulabgänger. In den Pausen haben wir immer Klicker und Fußball gespielt, und ab und zu mal in der Schule aufgepasst. Es war eine unbeschwerte Zeit. Donnerstags habe ich meiner Mutter den ‚Stern‘ vom Kiosk gegenüber der Schule mitgebracht. Und vom Restgeld durfte ich mir Cola-Fläschchen kaufen. In unserer Klasse gab es zwei Italiener, aber das war völlig egal, woher jemand kam und ob er gut Deutsch gesprochen hat. Es gab es keine Vorurteile. Als Hexemer Buben haben wir zusammengehalten.“
Station 2: Lion-Feuchtwanger-Straße 14-16
Vor dem evangelischen Gemeindezentrum
„Ich glaube, es war mittwochs abends. Ab 18.00 Uhr war hier Gruppenstunde und unsere Motörhead-Clique war immer da. Wir waren vier Metal Heads und haben da unten immer Metal gehört, Head gebangt und ganz viele Hexemer kennengelernt. Wir hatten coole Gruppenbetreuer und sind tatsächlich mit ihnen auch zweimal weggefahren, nach Obermombach. Hier konnte man sein, wie man war und wir waren froh, mal von zuhause weg zu sein. Ja, man hat viel gelernt und sich hier sozialisiert.“
Im Jugendraum …
„Hier sieht alles noch genauso aus wie früher, nur die Decke ist neu. Dieselben hässlichen Möbel, Funktionsmöbel. Die gibt es nur bei den Sozialpädagogen: weiße Holztische mit brauner Umrandung. Da hat immer der Ghettoblaster gestanden.“
und in der Kirche …
„Ich glaube, dass wir hier tatsächlich mal im Gottesdienst Musik gemacht haben mit unserer Band. Das mussten wir irgendwann, weil wir ja in der Gruppenstunde waren. Und wir fanden uns richtig gut. Aber wir konnten gar nichts.“
Station 3: An den Mühlwegen 46, Elternhaus von Sven
„Es hat sich nichts geändert. Sogar die Parkplätze sind genauso wie früher. Und das sind genau dieselben alten Steine, genau dasselbe Haus, nur dass man früher aufs Feld geschaut hat und nicht ins Gewerbegebiet. Vor der Haustür bin ich tatsächlich mit vier Jahren überfahren worden. Auf der anderen Straßenseite habe ich einen Kumpel gesehen und gedacht, es reicht noch. Aber es hat nicht mehr gereicht und ich habe unter der Ölwanne gelegen.
Das Leben war sehr entspannt. Ich habe es geliebt, hier zu wohnen. Kaum Autos, die Rheinhessenstraße war zweispurig und in den Seitengassen war nichts los. Wir waren ein paar Jungen von diesen drei Blocks, sehr kreativ, und haben unglaublich viel gespielt, z. B. Olympiade. Und jeden Abend haben wir uns auf die Parkbank gestellt und uns gegenseitig Medaillen umgehängt. Draußen auf der Wiese haben wir Indianerzelte aufgebaut und Indianer und Cowboy gespielt.“
Station 4: Rheinhessenstraße mit Blick auf das Gewerbegebiet
„Hier war alles Feld. Die Rheinhessenstraße war die Grenze. Wir haben am Ortsrand gewohnt. Und jetzt sind wir mittendrin.“
Station 5: Svens eigener Fußballplatz am Ende der Heinrich-von-Meißen-Straße, Ecke Am Mühldreieck
„Ich glaube, unser Fußballplatz war tatsächlich hinter den Garagen, wo jetzt die Gärten von der letzten Reihenhaussiedlung stehen. Dort war eine Wiese mit einem Hügel am Ende, damit die Bälle nicht immer auf die Rheinhessenstraße geflogen sind. Der Platz war vorne schmal und hinten breit. Und damit jede Mannschaft `mal auf jeder Seite spielen konnte, haben wir immer gewechselt. Um den Platz herum war Feld. Man konnte bis zur Heuerstraße sehen, wo die ersten Häuser standen. Wir hatten drei feste Straßenmannschaften. Ich habe in einer Mannschaft gespielt. Dann kam jemand und hat mir monatlich fünfzig Pfennig angeboten, wenn ich bei ihnen mitspiele. Also war ich der erste Profitransfer in Hechtsheim. Es war immer die Hölle los und die Leute, die hier gewohnt haben, tun mir heute noch leid. Den ganzen Tag nur Geschrei.
Heute sieht es grauenhaft hier aus, finde ich. Es ist zwar viel Natur da, aber wenn man die alten Bilder noch im Kopf hat …“
Station 6: Am südwestlichen Ende der Heuerstraße
„Die Ludwig-Strecker gab es zum Teil, meine ich. Da waren Sozialwohnungen. Die Bushaltestelle gab es nicht. Hier hat ja niemand gewohnt. Und wo wir jetzt stehen, bin ich geritten. Früher war hier der Reitstall Hofmeister mit Reithalle und Stallungen. Rundherum war Feld. Wir sind also von der Reithalle direkt ins Feld getrabt. Dann kam der Bauboom. Wenn man überlegt, wie viele Felder in letzten Jahrzehnten zugebaut worden sind. Die wurden ja bewirtschaftet. Wo sind denn die Ausgleichsflächen? Man kann doch keine Felder erfinden, oder?“
Station 7: Gelände des ehemaligen Sportplatzes, Heuerstraße
„Schmaler, steiler Aufgang, rechts das kleine Spielfeld, ein Schotterplatz, und geradeaus der Fußballplatz, der jetzt bebaut ist. Und diese Sackgasse kenne ich noch, aber das graue hässliche Gebäude stand dort noch nicht. Passt sich organisch ins Gesamtkonzept. Es wird jeder Millimeter zugebaut. Ich finde, ein Sportplatz gehört in die Ortsmitte, weil da Menschen zusammenkommen. Aber irgendwer, der da wohnt, fühlt sich gestört. Das habe ich immer schon gehasst: irgendwo hinziehen und dann klagen gegen Kirchenglocken und Hühner. Die waren aber schon vorher da. Wenn man in eine Durchgangsstraße zieht, weiß man vorher, dass da Autoverkehr ist. Oder man zieht halt nach Gabersch-Hibberschem. Dort kostet der Quadratmeder noch drei Euro. Da kann man billig bauen, braucht aber eine Dreiviertelstunde bis zum nächsten Arzt.“
Station 8: Vor der Hechtsheimer Ortsverwaltung
„Hat sich nichts geändert, außer dass die schönen kleinen Läden weg sind. Bäckereien gibt es zwar noch, aber keine Metzgerei mehr. Für Menschen, die alt sind und nicht so gut zu Fuß, ist das eine Katastrophe. Die nächsten Läden sind im Gewerbegebiet. Und verkehrstechnisch war es immer schon schlimm hier. Das kennt man nicht anders. Das war nicht als Durchgangsstraße gedacht. So, das war’s.“
Danke, Sven!
Auf dem Spaziergang wurde Sven Hieronymus von Ulrich Nilles begleitet.