WEISENAU – Weisenau entschlüpft langsam dem Kokon der pandemischen Restriktionen. Als einer der Mittelpunkte profiliert sich dabei die evangelische Kirche. Nicht nur greift sie mit der Aktion „Kirche für Künstler“ den Kulturschaffenden kräftig unter die Arme, indem sie Räumlichkeiten und Ausstattung für den Weisenauer Kultur-Sommer bereitstellt. Auch für die Bildungsarbeit steuert sie Impulse bei: dies gleichwohl gemeinsam mit den Weisenauer katholischen Christen. Der jüngste Ausdruck der Zusammenarbeit, die immerhin auf drei Jahrzehnte zurückblickt, ist eine ökumenische Vortragsreihe, die vor Kurzem im Pfarrgarten eingeläutet wurde. Das Eröffnungsthema: „Von der Glaubensspaltung zur Ökumene“.
Es ging um das Nebeneinander von Katholizismus und Protestantismus in Mainz von der Reformation bis zur Gegenwart. In seiner Kernaussage hob Referent Peter Lautzas die „berühmte Mainzer Liberalität“ hervor, die ein „zentrales Merkmal der Stadtgeschichte“ sei. Der Historiker und Pädagoge, früherer Bundesvorsitzender des Verbandes der Geschichtslehrer Deutschlands und Träger des Bundesverdienstkreuzes, kam anhand von Beispielen historischer Personen und Ereignissen zum Fazit: „Die Kluft zwischen Protestanten und Katholiken oder jene zwischen der Kirche und dem Staat seit der Säkularisation hat im Mainzer Einflussbereich immer klar bestanden.“ Man lebte nebeneinander. „Der Alltag wurde aber vielfach von pragmatischen Entscheidungen bestimmt.“ Zur Veranschaulichung skizzierte Lautzas unter anderem das Streben und die Karriere des Mainzer Erzbischofs Albrecht von Brandenburg. „Eines Machtmenschen aber auch Humanisten, der Kontakte genauso zu Erasmus von Rotterdam wie auch zu Martin Luther pflegte.“ Zur Sprache kam die Zeit der schwedischen Invasion, als Gustav Adolf die Stadt Mainz zur religiösen Hauptstadt seines protestantischen Reiches erheben wollte und das Nebeneinander der Religionen förderte. „Jenseits der konfessionellen Grenzen und inoffiziell bestimmten sehr oft Kooperationen oder gegenseitige Rücksichtnahme das Zusammenleben“, so der Historiker. Das sei im kurfürstlichen Mainz als auch in der napoleonischen Epoche, als Mainz zu einer Bischofsstadt degradiert worden war, sehr ähnlich gewesen.
Das Erbe jenes liberalen und pragmatischen Geistes könnte in der Weisenauer Kirchenkooperation stecken, die nun für die Menschen den Neuanfang mitgestaltet. In der Pandemie-Zeit habe der Zusammenhalt über Konfessionsgrenzen hinweg an Intensität gewonnen, stellten unlängst der katholische Pfarrer Christian Nagel und die evangelische Pfarrerin Britta Busch in einem unterhaltsamen Werbe-Spot auf der Kirchenhomepage fest. Weitere Veranstaltungen der Vortragsreihe könnten neue Impulse setzen.