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„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt.“ Damenwahl >>>Wortreiche Theateraufführung des Aha-Theaters Nierstein

Das Aha-Theater zeigte eine kluge und berührende Hommage an Frauen, deren Stimmen die Gesellschaft geprägt haben. Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

NIERSTEIN – Mit dem Stück „Damenwahl“ stellte das Aha-Theater Nierstein unter Beweis gestellt, wie viel Wirkung Laienschauspiel entfalten kann, wenn Herz, Haltung und historische Neugier zusammenkommen. In drei Vorstellungen – zwei davon im inzwischen Johannes-Busch-Haus in Nierstein aufgeführt – entfaltet sich eine lebendige, kluge und zutiefst berührende Hommage an Frauen, deren Stimmen die Gesellschaft geprägt haben und es weiterhin tun.

Entstanden ist das Stück über anderthalb Jahre – inklusive Wiederaufnahme im Vorjahr. „Wir proben nur einmal pro Woche – da dauert es eben“, erklärt Theaterpädagogin Heike Mayer-Netscher.

Besonders die Textauswahl zog sich: „Die Hälfte der Zeit haben wir ausprobiert und ausgewählt. Die andere Hälfte war langsames Herantasten.“

Im Januar entstand das endgültige Stück bei einer intensiven Probenphase in der Jugendherberge. „Ab da wurde nur noch durchgeprobt.“

Der rote Faden des Abends: Stimmen von Frauen, die Geschichte schrieben – mal leise und poetisch, mal laut und politisch. Sie sprachen von Gleichberechtigung, Mut, Trauer, Trotz und Triumph. Sie führten das Publikum durch Jahrhunderte, durch Disziplinen und Lebensentwürfe. Und sie taten das nicht in staubiger Rückschau, sondern in einer lebendigen, kreativen Collage aus Spielszenen, Zitaten, Dialogen und szenischen Tableaus.

Das Aha-Theater zeigte eine kluge und berührende Hommage an Frauen, deren Stimmen die Gesellschaft geprägt haben.
Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

Ob Hildegard von Bingen, Rosa Luxemburg, Elisabeth Selbert oder die Radfahrerin Alfonsina Strada – der Abend gab ihnen Raum, ohne sie zu verklären. Zugleich erlaubte das Schauspiel humorvolle Kontraste: Das italienisches Fahrradrennen wurde zur Bühne weiblicher Selbstbehauptung, die Fernsehfigur Miss Marple eröffnete die Welt der Kriminalliteratur als Revier starker Frauen. Das funktionierte erstaunlich gut, auch weil das Ensemble seine Rollen nicht überhöhte, sondern mit spürbarem Respekt und feiner Ironie spielte.

Beeindruckend war dabei die Vielfalt der Mittel. Mal wurde rezitiert, mal gespielt, mal gesungen – und manches einfach nur angedeutet. Dass das Ensemble mit Überzeugung spielte, lag auch an der pädagogischen Regiearbeit. „Die Zitate haben sich die Spieler selbst ausgesucht – gerade bei den politischen Passagen. In dem Moment, wo sie dahinterstehen, lesen sie sie auch anders“, sagt Mayer-Netscher. „Ich bin Pädagogin und nicht nur klassische Regisseurin. Natürlich setze ich die Szenen am Ende zusammen, aber der Weg dorthin ist oft sehr intim.“

Ein berührender Höhepunkt war die Passage über Elisabeth Selbert, die kämpferisch den Gleichberechtigungssatz ins Grundgesetz brachte. In einer klugen Dialogszene mit „den Herren des Verfassungskonvents“ gewann das Spiel an Schärfe, ohne seine freundliche Grundstimmung zu verlieren. Auch das war eine Stärke dieser Inszenierung: Sie nahm Position ein – aber ohne ideologische Schwere.

Leise, aber eindrücklich war die Passage mit Bettina Wegners Gedicht „Bringt so kleine Hände …“, das den Abend in eine beinah meditative Ruhe führte. Weitere Stimmen, die im Gedächtnis blieben, waren die von Hannah Arendt („Dieses ständige Lügen zielt nicht darauf ab, das Volk eine Lüge glauben zu machen …“) und vor allem die finale Szene mit Zitaten von Pippi Langstrumpf aus der Feder von Astrid Lindgren. Ach, was für ein Glück, dass Mädchen und Frauen, wie Pippi, die Welt genauso, wie sie ihnen gefällt, gestalten. Das Ensemble spielte mit Herz, Haltung und einer Ernsthaftigkeit, die ansteckte. „Ich mache meine Arbeit. Meine Arbeit ist mein Statement“, hieß es an einer Stelle – und dieser Satz schien über der gesamten Inszenierung zu stehen.

Am 16. Mai um 19.30 Uhr spielt das Aha-Theater noch einmal in der Gemeindehalle Friesenheim – zum letzten Mal unter der Regie von Heike Mayer-Netscher. Nach zehn Jahren gibt sie die Leitung an Theaterpädagogin Sinja Baier ab.

„Ich hätte das Aha-Theater nicht abgegeben, wenn ich nicht jemanden gefunden hätte, der das gut kann“, sagt Mayer-Netscher. Sie selbst konzentriert sich künftig auf das professionell geführte Kindertheater Theaterraum Mainz, das inzwischen institutionell von der Stadt Mainz gefördert wird. „Diese Gruppe habe ich mit aufgebaut. Viele sind von Anfang an dabei. Das verbindet – aber jetzt ist es Zeit für neue Impulse.“

 

Gregor Starosczyk-Gerlach