HARTENBERG-MÜNCHFELD – Vital und mit offenem Blick begrüßt Elisabeth Kirschning ihren Besuch und bittet die Gäste ins Wohnzimmer. Dort sind ein Kuchenbüfett und Fingerfood appetitlich angeordnet und schlanke Gläser warten auf ihre Befüllung. Der Grund: Elisabeth Kirschning feiert ihren 101. Geburtstag!
Dazu überbrachte die Ortsvorsteherin von Hartenberg-Münchfeld Christin Sauer (Grüne) die Glückwünsche der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) sowie von Oberbürgermeister Nino Haase (parteilos) und überreichte ein Weinpräsent und Orchideen. Hausarzt Dr. Thomas Jahnke gratulierte mit einem Bund langstieliger Rosen.
Bei einem Gläschen Sekt kam man ungezwungen ins Gespräch. Dabei zeigte sich die Jubilarin überrascht von der Frage, was man tun müsse, um ein solch salomonisches Alter zu erreichen. „Indem man die Arbeit macht, die man machen muss. Vor 14.00 Uhr komme ich nicht zum Sitzen. Und, meine Mutter war sehr perfektionistisch. Das hat sich 100 Jahre bewährt.“
Weiter erzählt Frau Kirschning, dass sie seit über 30 Jahren hier in der Ludwigsburger Straße wohnt. Das Haus sei sehr gepflegt und habe behindertengerecht einen Aufzug. Ihr Mann sei leider kurz nach ihrem Einzug verstorben. Mittlerweile habe sie drei Urenkel, von denen die Große auch schon 18 Jahre alt ist.
„Ich komme nicht mehr so oft raus, aber von hier oben aus dem 8. Stock habe ich einen wunderschönen Ausblick auf die Stadt. Und ich lese jeden Tag die Zeitung von hinten bis vorne. Ich muss wissen, was draußen los ist.“ Auch das tägliche Kreuzworträtsel lässt sie nicht ungelöst.
„Wir können uns gut miteinander unterhalten. Meine Mutter ist manchmal fitter als ich“, wirft Tochter Elke Beckhaus (70) ein, die sich um ihre Mutter kümmert. „Nur mit dem Handy komme ich nicht mehr klar, aber was ein Podcast ist, verstehe ich schon“, ergänzt ihre Mutter.
Gefragt nach besonders traurigen Ereignissen in ihrem Leben spricht sie spontan von den Kriegstagen in Königsberg, wohin sie geheiratet hatte. „Unter dem Wüten des Feuersturms musste ich 1944 durch die brennende Stadt zum Bahnhof, um einen der wenigen Fluchtzüge zu bekommen.“ Mit dabei ihr sieben Wochen alter Junge, für den sie bei jedem Zughalt beim Roten Kreuz Haferbrei kochte. Ihr Mann war zu diesem Zeitpunkt Soldat im Westen. Noch heute spricht Frau Kirschning mit Hochachtung von ihren Eltern.
„Mein Vater und meine Mutter waren für die damaligen Verhältnisse sehr liberal. Sie habenmich stets in jeglicher Form unterstützt. Auch als ich mit 18 Jahren, seinerzeit noch nicht volljährig, von zuhause ausgezogen bin.“ Ihre früh verwitwete Mutter hatte sie später bis zu deren Tod überall dabei.
Bereits im Alter von 14 Jahren machte Elisabeth Kirschning nach der Schulzeit ein Landjahr in Dänemark. „Ich wollte immer etwas anderes sehen. Im Urlaub habe ich mir immer die Kirchen angeschaut, während mein Mann das Auto bewacht hat“, sagt sie mit einem verschmitzten Lächeln. Anlässlich ihres 70. Geburtstags meldete sie sich bei ihrer Familie ab und bereiste mit einer Schulfreundin fünf Wochen lang den Kontinent Australien. „Mein Mann war bereits verstorben, die Reise war preiswert und ich konnte günstig nach Hause anrufen.“
Und wie sieht die Zukunft aus? „Ich bin immer realistisch geblieben. Wenn es regnet, male ich mir keine Sonne dazu. Wenn es uns nicht gut geht, machen wir es uns schön. Und was passiert ist, hake ich ab. Es ist so, wie es ist.“
Ulrich Nilles