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„Mein politischer Hintergrund ist jener der Bürgerbeteiligung“ OB Nino Haase im Gespräch mit Journal Lokal

OB Nino Haase im Gespräch mit Ekkehard Schenk. Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

MAINZ – Nino Haase (parteilos) wurde am 5. März zum neuen Mainzer Oberbürgermeister gewählt. Nach gut einem halben Jahr Amtszeit zog der neue OB im Gespräch mit Journal Lokal eine erste Zwischenbilanz.

 

Journal LOKAL: Wie haben Sie sich im Amt eingelebt?

Nino Haase: Man kommt sehr schnell in den Verwaltungsapparat rein. Der formalistische Aufbau sorgt für eine Struktur, deren Abläufe funktionieren. Der Kalender war von Anfang an voll. Ich kam rasch ans Arbeiten, sodass ich in den vergangenen sechs Monaten so viele Arbeitsstunden leistete, die woanders zwei Jahre ausmachen würden.  Ich habe mich hier sehr schnell zu Hause gefühlt.

 

Journal LOKAL: Bei den Terminen vor Ort ist der OB fast immer dabei. Ist das noch die Phase des Kennenlernens, stimmt dieser Eindruck?

Haase: Aus meiner Sicht nicht. Ich nehme die Termine wahr, die ich für wichtig erachte. Es kann schon sein, dass das im ersten Jahr häufiger vorkommt und dann im Zweijahresrhythmus wiederholt wird. Die Repräsentanz ist laut der Gemeindeordnung einer der Aufträge des Oberbürgermeisters. Der andere ist die Verwaltungsarbeit. Und das ist, finde ich, eine außerordentlich befriedigende und schöne Arbeit. Um ehrlich zu sein ist es mehr eine Management- und größtenteils keine politische Aufgabe. Die meisten Leute in der Verwaltung wünschen sich eine Entbürokratisierung und weniger Kontrolle. Es muss nicht alles beim OB landen. Wie wollen stattdessen die Mitarbeiter etwas freier atmen lassen. Die Rückmeldungen aus den Ämtern bestätigen mich auf diesem Weg. Deswegen ist die Schaffung von zukunftsweisenden Arbeitsplätzen mit moderner Software und flächendeckenden Home-Office-Möglichkeiten ein wichtiges Projekt der nächsten Jahre. Wir arbeiten mit Hochdruck an der Einführung einer elektronischen Zeiterfassung‘ gestartet. All das, um den Fachämtern zu helfen, ihre Arbeit schnell zu erledigen.

 

Journal LOKAL: Wie sieht es mit dem Umzug ins neue Rathaus aus?

Haase: Die Sanierung des Rathauses soll laut aktuellem Zeitplan 2027 abgeschlossen sein. Dann kann der Umzug 2028 erfolgen, er ist aber noch kein Bestandteil der organisatorischen Planung. Ich denke, dass der aktuelle Rathaus-Standort mit den etwa 350 Arbeitsplätzen wie die anderen Dependancen im Stadthaus, auf der Zitadelle oder in den Bonifatiustürmen erhalten bleibt.

 

Journal LOKAL: Sind Ihre Besuche in den Ortsbeiräten abgeschlossen?

Haase: Ich versuche, in einen engen Austausch mit ihnen zu treten. Wir haben bereits zwei Ortsvorsteherversammlungen abgehalten. Es ist eine zeitliche Frage: Neun Ortsbeiräte habe ich besucht, zwei oder drei Besuche stehen noch in diesem Jahr und die restlichen im Frühjahr 2024 an. Zwischendrin hatte ich eine Fahrradtour mit den Lerchenbergern und einen Ortstermin mit den Hechtsheimer Volksvertretern wegen der Neuen Mitte gehabt.

 

Journal LOKAL: Zwischenfrage: Wie sieht es aus mit der Aufstockung der Verfügungsmittel für die Ortsbeiräte aus?

Haase: Die jüngste Erhöhung auf 45.000 Euro für alle Ortsbeiräte halte ich für zu wenig. Wir schauen uns aber die Entwicklung erst mal an. Ich plädiere dafür, irgendwann in den sechsstelligen Bereich vorzudringen und die Vergabe an Bedingungen zu knüpfen.

 

Journal LOKAL: Zurück zu den Projekten…

Haase: Ich möchte in der Zukunft den Austausch durch die Einwohnerversammlungen intensivieren. Der Weg der Bürgerbeteiligung, den wir sehr aktiv bei Projekten vorantreiben und der sehr gut ankommt, gehört dazu. Angefangen beim Regierungsviertel bis zu kleineren Projekten wie der Ortsmitte in Bretzenheim. Für uns erstaunlich, haben sich 670 Menschen für den Bürgerbeteiligungsbeirat beworben. Wir haben mit einem Zehntel gerechnet. Mit der Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit haben wir zudem eine klarere Sichtbarkeit forciert und wollen eine noch bessere Verzahnung mit der Pressestelle erreichen. Das Thema Soziale Medien steht oben auf der Liste.

 

Journal LOKAL: Was trägt außerdem Ihre Handschrift?

Haase: Dazu zähle ich das Personalpaket für die Kitas, das im Nachtragsstellenplan steckt. Das Dezernat von Dr. Eckart Lensch wollte das seit Langem, jetzt bekam es die Rückendeckung des OB, weil mir das wichtig war. Teilweise sind die Stellen in der Besetzung. Es geht um ein Service-Telefon und Erzieher- sowie Hauswirtschafts- und IT-Kräfte für die Kitas. Um die Vergabe der Plätze vernünftig zu planen, brauchen wir zudem ein stadtweites Vergabesystem. Das sehe ich als meine Aufgabe. Ebenso die Digitalisierung. Auch eine Machbarkeitsstudie fürs Baden im Rhein habe ich auf den Weg gebracht.

 

Journal LOKAL: Als Parteiloser im Amt des Oberbürgermeisters sind Sie auf Mehrheiten angewiesen, wie geht es Ihnen damit?

Haase: In der Administration stelle ich die Menschen in den Vordergrund. Mein politischer Hintergrund ist jener der Bürgerbeteiligung. Das halte ich sehr hoch. Oft läuft die Kommunikation über Pressemitteilungen. Die Politik und Verwaltung müssen sich mit den Bürgern konfrontieren, das bedeutet: vor Ort sein, um die Sicht auf manche Dinge mitzubekommen.

 

Journal LOKAL: Das klingt, als setzen Sie auf eine außerparlamentarische Mehrheit…

Haase: Man könnte das so sagen. Man sollte in der repräsentativen Demokratie möglichst viele Rückmeldungen einholen.

 

Journal LOKAL: Es gab zuletzt viele Kontroversen, beispielsweise um die Verkehrswende…

Haase: …die meisten Themen sind kontrovers…

 

Journal LOKAL: Die Stadtentwicklung in den 1960er-Jahren setzte für Mainz andere Schwerpunkte. Die Last der vernünftigen Lösungen für die Gegenwart haben wir. Was können Sie als OB vorgeben, welche Präferenzen haben Sie?

Haase: Meine Sicht ist das eine, das andere die Entscheidung des Stadtrats und die Arbeit der zuständigen Dezernate. Persönlich dränge ich darauf, dass wir manche Stadtbereiche – perspektivisch beispielsweise die Holztor- oder Neutorstraße – im Sinne der Entwicklung und für den Handel autofrei gestalten. Das bedeutet nicht eine autofreie Stadt drumherum. Konzeptionell wollen wir das Anwohnerparken in den Parkhäusern unterbringen. Parkausweise werden teurer, erhalten aber einen Service-Mehrwert. Mit den freien Flächen können wir dann im Sinne der Fußgänger, Radfahrer und der Begrünung arbeiten. Ein durchgehendes Radwegenetz wird gerade in Fachdezernaten bearbeitet. Einen autofreien Abschnitt der Großen Bleiche am Regierungsviertel halte ich für gut: Es wäre eine Chance für ein Naherholungsgebiet oder für einen kleinen Park in der Stadt. Doch der OB sitzt nicht am Schreibtisch und plant Gebiete oder Straßen und Radwege.

 

Journal LOKAL: Wird das nicht die Besucher, die mit dem Auto in Stadt kommen, vergraulen?

Haase: Es wäre Irrsinn, zu glauben, dass jeder Laden mit dem Auto erreichbar sein muss. Die Erfahrung zeigt, dass es für die Menschen, die in die Stadt kommen, wichtig ist, dass sie durch vernünftige Zuwegungen die Parkhäuser erreichen. Das im Mai beschlossene Park&Ride-Konzept wird die Leute aus dem Umland ansprechen.

 

Journal LOKAL: Zum Zentrenkonzept, welche Rückmeldungen erreichen Sie da?

Haase: Ich glaube nicht, dass das Zentrenkonzept von 2006 einen großen Effekt hatte. Außer dass es die Entstehung von großen Malls außerhalb der Stadt reglementiert. Es hat zudem unterschätzt, wie stark viele Bereiche vom Online-Handel übernommen werden.

 

Journal LOKAL: Ein Beispiel: In Laubenheim sind gewerbliche Neuansiedlungen rar und Bodenheim blüht hingegen auf.

Haase: Das Zentrenkonzept ist eine Kontrollillusion. Ich verstehe, dass man es nicht will, dass sich in einem Industriegebiet ein Lebensmitteldiscounter ansiedeln soll. Aber: Eine Metzgeransiedlung in Weisenau, die außerhalb des Ortskerns nicht zugelassen wurde, hatte zur Folge, dass wir dort jetzt keinen lokalen Metzger haben. Da merke ich die Inflexibilität. Manches lässt sich über die Bebauungspläne lösen.

 

Journal LOKAL: Wird sich beim Konzept etwas bewegen?

Haase: Das hängt von den politischen Mehrheiten ab.

 

Journal LOKAL: Sie würden die Mehrheitssuche über die Öffentlichkeit empfehlen…

Haase: Ja, und dann müsste man es in den politischen Prozess gießen.

 

Journal LOKAL: Wären Gewerbevereine geeignete Ansprechpartner? Viele von ihnen sehen einen aussichtslosen Kampf und fühlen sich vernachlässigt.

Haase: So müsste man politische Prozesse wieder ins Laufen bringen. Mit jedem Gewerbeverein kann ich mich nicht treffen, aber ich spreche gerne mit einem Forum. Am Ende entscheidet die Politik.

 

Journal LOKAL: Hinsichtlich des Steuersegens dank BioNTech, was können die Bürger da noch erwarten?

Haase: Was bereits getan ist, sind beispielsweise ein dauerhaft niedriger Hebesatz, der den ortsansässigen Unternehmen und dem Arbeitsmarkt hilft. Wir haben mehrere Liegenschaften erworben, die wir – wie das Mombacher Gymnasium – vorübergehend sinnvoll nutzen können. Wir bauen Turnhallen und Kitas aus und haben 110 Millionen Euro an die Stadtwerke gegeben. Die Bevölkerung profitiert flächendeckend von barrierefreien Straßenbahnen mit niedrigem Einstieg, digitalen Anzeigetafeln an Bussen, es gibt die Neun-Euro-Tickets für die Mitarbeiter der Verwaltung und Null-Euro-Tickets für Azubis. Themen, wo es hakt, wie bei der Schulbuchausleihe, da arbeiten wir bereits an einer Prozess- und Organisationsverbesserung.

 

Journal LOKAL: Die IGS Europakreisel bleibt jetzt in Weisenau, manche Eltern sind nicht glücklich damit. Wäre das vorher klar, würden sie ihre Kinder an eine andere Schule hinschicken. Wird das Mombacher Gymnasium nach Mombach zurückkehren?

Haase: Ich höre nichts Gegenteiliges. Überhaupt: Für eine bessere Öffentlichkeitsarbeit haben wir eine neue Stelle bei der GWM (Gebäudewirtschaft Mainz, red.) angesiedelt. Mit ihrer Hilfe sollen die laufenden Bauprojekte in der Stadt für alle – nach Stadtteilen geordnet und hinsichtlich der Bauphase – einsehbar sein.

 

Journal LOKAL: Stark diskutiert wird gegenwärtig über die Gestaltung der Mombacher Straße, was sind da die nächsten Schritte?

Haase: Da laufen zwei verschiedene Projekte. Das Besucherzentrum der SchUM-Welterbestätte wird oberhalb des Jüdischen Friedhofs errichtet. Der Friedhof wird saniert, die Inschriften konserviert. Bei der Mombacher Straße bin ich der Meinung, wenn die Grundlage einer Planung ziemlich alt ist und sich die Zeiten geändert haben, hier arbeitet das zuständige Dezernat an einer Nachbesserung. Alte Baumstrukturen wachsen nur in Jahrzehnten. Man muss daher sehr genau und fundiert kommunizieren und belegen, sollten beispielsweise einige Bäume binnen weniger Jahre sowieso absterben werden und dass Nachpflanzungen geplant sind. Die Beteiligung der Bürger ist hier erneut eminent wichtig. Hinsichtlich der Kommunikation mit der Öffentlichkeit ist die Botschaft von deren Notwendigkeit beim zuständigen Dezernat, glaube ich, angekommen.

 

Journal LOKAL: Vielen Dank für das Gespräch.

 

Das Gespräch führten Gregor Starosczyk-Gerlach und Ekkehard Schenk.

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Ich schreibe und fotografiere seit 2013 für Journal LOKAL - die lokale Zeitung. Die Begeisterung für die Lokalmedien entdeckte ich während des Studiums der katholischen Theologie und habe seit 2007 für Lokalzeitungen, öffentliche Einrichtungen und Online-Medien gearbeitet. Mich fasziniert der wunderbare Alltag. Unterwegs bin ich für Themen in Rheinhessen rund um Mainz.