MAINZ – Vinyl knistert, als die Nadel aufsetzt – Musikliebhaber wissen, dass dieser Moment eine kleine Zeremonie ist. Die Zeit, in der Plattenläden die erste Adresse für Musik waren, scheint längst vergangen. Doch in Mainz kehrte vor Kurzem ein Hauch dieser Ära zurück: Ein gelber amerikanischer Schulbus, randvoll mit Schallplatten, parkte auf den Malakoff-Terrassen. Michael Lohrmann, ehemaliger Herausgeber und leidenschaftlicher Sammler, betreibt den wohl ungewöhnlichsten mobilen Plattenladen Deutschlands. Auf seiner letzten Tournee nach sechs Jahren im Einsatz bringt er das Kulturgut Vinyl noch einmal dorthin, wo sonst keine Plattenläden mehr zu finden sind. Er möchte nicht mit 60 Jahren noch mit dem Bus durch die Lande ziehen, sagte Lohrmann, daher verkauft er in vielen Städten die Platten. Knapp 100 Termine absolviert Lohrmann auf seiner Abschiedstour bevor der Vinyl-Bus stillgelegt wird.
Frank König der Moderator der SWR1 Sendung „Meilensteine“ moderierte in diesem ungewöhnlichen Vor-Ort-Studio am Fort die Sendung, die zum ersten Mal nicht im Studio aufgezeichnet worden war.
Das Thema: Abschied vom Vinyl-Bus und den Bandgrößen aus der Vergangenheit. Die Interessierten, meist männlich und kauflustig, konnten der Sendung beim Anstehen in der Schlange „live“ lauschen. König besprach gewisse Alben und spielte sie auch kurz ein. Zwischendrin wurden drei Leute aus dem Publikum am mobilen Mikrofon zu den „Alben, die Geschichte schrieben“ und zu ihren musikalischen Vorlieben, interviewt. So gab es einen Fall, bei dem der Vater sein Lieblingsalbum der Tochter geliehen hat und diese nun selbst ein Fan der Musik geworden ist.
Währenddessen durften die Kaufinteressenten den Bus einzeln betreten und in der rund 4.000 großen LP-Sammlung stöbern. Soul, Metal, Pop und Rock führte Lohrmann mit sich, andere Musikrichtungen nicht, was manche bedauerten. Die Rillen der Platten waren zuvor von einer professionellen Reinigungsmaschine gesäubert worden. Der Zuspruch war beachtlich: Die lange Menschenschlange baute sich nur langsam ab, doch der Geduldsfaden riss bei keinem Fan. Im Gegenteil: Wenn sie nach einem erfolgreichen Kauf mit einer schwarzen Tüte aus dem Bus stiegen, war stets ein Lächeln in ihren Gesichtern zu entdecken. Die Webseite des Busses umfasste mehr als 1.000 Vinyl-Schallplatten, darin konnte der Fan ebenfalls nach Raritäten suchen und den Favoriten bei Interesse vor Ort gleich vorbestellen.
Der Schallplatte und dem Vinyl-Bus-Besuch sei Dank: Viele Mainzer werden ihre Vinyl-Zeremonien mit neuem Stoff fortführen können.
Claudia Röhrich