Start Gesellschaft Schmalzbrote und Glühwein trotz Regen Geschichte >>>Historischer Rundgang in Laubenheim

Schmalzbrote und Glühwein trotz Regen Geschichte >>>Historischer Rundgang in Laubenheim

Die Villa Schott thront über der Hans-Zöller-Straße. Foto: Sabine Longerich

LAUBENHEIM – Ein bisschen Nieselregen kann echte Laubenheimer nicht schrecken – schon gar nicht, wenn Gerhard Strotkötter zum historischen Rundgang lädt. Rund 20 wetterfeste Geschichtsfans fanden sich an jenem grauen November-Sonntag auf dem Marktplatz ein, wo der Heimat- und Verkehrsverein Laubenheim (HVV) zu einer Reise durch Jahrhunderte einlud. Der ehemalige Ortsvorsteher Strotkötter führt diese Tour schon seit 1993 durch – immer mit Herzblut, Humor und historischen Pointen. Und selbst wer schon mehrfach mitgelaufen ist, hört jedes Mal Neues.

Gerhard Strotkötter erläuterte die Inschrift am Brunnen. Foto: Sabine Longerich

Los ging es am Dorfmittelpunkt mit dem Wiegehäuschen, wo früher Säcke und Fässer über die Waage gingen und einst sogar die Gendarmerie logierte. Bis in die 70er-Jahre wurde hier noch gewogen – heute wird hier vielmehr genossen: Denn dort warteten später Schmalzbrote und der legendäre Glühwein auf die Spaziergänger, die dem Regen trotzten. Dass der Platz Geschichte atmet, weiß Strotkötter zu erzählen: Schon 1689 stand hier das erste Rathaus samt Dorfbrunnen. Dieser fiel jedoch 1794/95 den französischen Belagerern zum Opfer – und zwischendurch, 1737, auch mal einem unglücklichen Fuhrwerk aus Bodenheim. Zum Glück mit Happy End: Bei der Einweihung des restaurierten Brunnens 2017 entschuldigte sich der damalige Bodenheimer Ortsbürgermeister offiziell – und brachte 17 Liter „versilberte und vergoldete Edelweine“ als Wiedergutmachung. Seitdem gilt die Sache als vergeben und vergessen, Urkunde inklusive.

Das älteste Haus von Laubenheim stammt aus dem Jahr 1585. Foto: Sabine Longerich

Weiter ging der Spaziergang vorbei an Häusern, die mehr Geschichten erzählen könnten als so mancher Roman. Das Haus Nr. 8 am Marktplatz, um 1600 erbaut, war einst das Schultheiß-Haus, später französische Domäne. In der Pfarrgasse, die bereits 1540 angelegt wurde, residierten von 1773 bis 1903 die Laubenheimer Pfarrer. In der Straße „Am Alten Spritzenhaus“ beeindruckte besonders das älteste Haus aus dem Jahr 1585 – mit originalem Fachwerk und feinen Schnitzereien. Nur wenige Schritte weiter stand bis 1969 das alte Spritzenhaus, das dem Straßennamen noch heute Ehre macht.

Auch in der Berghofstraße wurde Geschichte lebendig: Hier steht der historische „Siener’sche Hof“, dessen Wand eine besondere Inschrift ziert. Der Neffe des früheren Eigentümers lief die Tour mit und steuerte Details aus Familienbesitz bei. Ein über 280 Jahre alter Brunnen ist dort immer noch aktiv, geheimnisvolle Kellergewölbe werden auch heute noch genutzt. Wie einige der „alten“ Anwohner berichten, ist ihre Laune allerdings auch „im Keller“: über einen modernen Neubau, ein großes Mehrfamilienhaus am Anfang der Berghofstraße, der die alten Gebäude nun buchstäblich in den Schatten stellt. Einwände waren zwecklos, die Baubehörde war immun gegen die Argumente. Und wo einst in Haus Nr. 2 das Gefängnis stand, plauderte man heute fröhlich über frühere Zeiten. Der Weg führte weiter vorbei an Tagelöhnerhäuschen aus dem 18. Jahrhundert, hin zum prachtvollen Deutschhaus von 1722 mit seiner barocken Erzengel-Michael-Statuette.

Im Wiegehäuschen werden die Schmalzbrote vorbereitet. Foto: Sabine Longerich

Im Erthaler Hof und dem benachbarten Marienhof ist der Glanz des Barock zu entdecken – einst bischöfliche Weingüter, heute noch architektonische Schmuckstücke. Der Marienhof, früher ein bekanntes Weingut, ist heute eine beliebte Event-Location. Früher wurde dort übrigens ab 1850 Sekt der Marke Kupferberg produziert. Ein weiteres Highlight folgte: Hoch über der Hans-Zöller-Straße thront die Villa Schott, um 1850 erbaut vom Mainzer Musikverleger gleichen Namens. Hier trafen sich Komponistengrößen wie Richard Wagner, Franz Liszt und Engelbert Humperdinck – Laubenheim als musikalischer Mittelpunkt Europas, wer hätte das gedacht.

Ein kurzer Abstecher in den Siesmayer-Park, 1870 vom berühmten Gartenarchitekten angelegt, zeigte: Auch die Natur hat Geschichte. Der einstige Teich wurde um 1970 leider zugeschüttet. Der Park punktet mit mächtigen Bäumen und einer brandneuen Stele – das grüne Herzstück des Orts.

Zurück am Ausgangspunkt wartete das verdiente Finale: Im Wiegehäuschen duftete es nach Schmalzbroten (auch in veganer Variante) und heißem Glühwein, den Lars Vollrodt nach traditionellem Rezept zubereitet hatte. Neu im Angebot: frisch gebackenes Sauerteigbrot von Heike Spitzlei, die sich dafür schon um halb sechs morgens an den Ofen gestellt hatte.

Der Eingang zum Gewölbekeller in der Berghofstraße. Foto: Sabine Longerich

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer rückten zusammen, trotz Regenschirm und Wasser von oben, plauderten, kosteten und genossen. „Ein toller Rundgang, informativ und einfach schön“, war der einhellige Tenor. Gerhard Strotkötter will auch im kommenden Jahr wieder durch die Geschichte zu führen – und wer einmal dabei war, weiß: Selbst bei Regen lohnt sich dieser Spaziergang allemal.

 

Sabine Longerich