BODENHEIM – Die Gleichstellungsbeauftragte der Verbandsgemeinde (VG) Bodenheim, Heike Hermes, widmete sich vor Kurzem im Alten Rathaus dem Thema „Sexualisierte Gewalt“. In Kooperation mit dem Frauennotruf Mainz lud sie zu einer Informations- und Austauschveranstaltung ein. Hinsichtlich der Begrifflichkeit erläuterte Hermes, dass bei sexualisierter Gewalt die Sexualität als Machtmittel zur Erniedrigung, Kontrolle und Verletzung eingesetzt würde. In Abgrenzung dazu schließe die häusliche Gewalt nicht zwangsläufig sexuellen Missbrauch ein.
Während Frauen die Übergriffe häufiger in Beziehungen und im Alltag erleben, erleiden Männer sie eher in Institutionen oder durch Machtmissbrauch. Die Folgen werden ähnlich erfahren: als Scham, Schuld und Rückzug in die Isolation. „Hinzu kommt, dass Frauen gesellschaftlich häufiger als Opfer gesehen werden, während Männern die Opferrolle oft nicht zugestanden wird“, so Hermes. Mit dem Verweis darauf, dass sexualisierte Gewalt keine Privatsache sei, sondern ein gesamtgesellschaftliches Problem, das alle angehe, übergab Hermes das Wort an die Referentin, Eva Jochmann.
Jochmanns Vortrag schöpfte aus dem reichen Erfahrungsschatz einer der ältesten Fachstellen Deutschlands. Seit rund 46 Jahren leistet der Frauennotruf Hilfen durch Beratung, Begleitung und Unterstützung für alle, die sexualisierte Gewalt in Kindheit, Jugend oder im Erwachsenenalter erlebt haben. Acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern sich um Hilfesuchende, unabhängig davon, ob eine Anzeige erstattet wurde oder wie lange die Gewalt zurückliegt. Auch Angehörige, Kollegen und Fachkräfte erhalten Unterstützung. Jochmann begleitet diese Zielgruppen inzwischen seit drei Dekaden tagtäglich.
Der Frauennotruf biete geschützte Räume, in denen Austausch möglich sei, damit niemand mit den schweren Erinnerungen allein bleiben müsse. „Wir vermitteln den Opfern, dass und wie sie sich wehren können, dass sie über das Erlebte sprechen müssen und sich Hilfe holen dürfen.“ In dem Zusammenhang rückte Jochmann auch einen Paradigmenwechsel in den Fokus. Zunehmend rückten nämlich ältere Frauen ins Blickfeld. „Im Alter“, so die Referentin, „treten Erinnerungen an die Vergangenheit häufig deutlicher hervor.“ Dazu zählen schöne Momente, aber auch die Erlebnisse in Krieg, Diktatur oder in der Nachkriegszeit. Nicht selten geht es um Demütigungen und sexuelle Gewalt im Alltag. „Die Zeit heilt eben nicht immer alle Wunden“, resümierte Jochmann.

Spürbares Entsetzen im Auditorium rief die Schilderung eines Tabuthemas hervor, das die sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen mit Behinderung betraf. Jochmann sprach in dem Zusammenhang über die „erschreckende Häufigkeit“ solcher Handlungen. „Sie werden angefasst, angestarrt, bedrängt oder zum Sex gezwungen, oft von Personen aus dem direkten Umfeld.“ Besonders verhängnisvoll sei es, wenn die Betroffenen den Täter eigentlich mögen oder ihm vertrauen.
Als ein ermutigendes Beispiel skizzierte die Referentin die Entwicklung, wonach sich inzwischen zunehmend Männer und Jungen öffneten und die Männerberatung des Frauennotrufs aufsuchten.
„In den meisten Fällen findet der Erstkontakt telefonisch durch die Unterstützungsuchenden selbst statt, seltener schriftlich per Mail oder über die Onlineberatung“, ergänzte Jochmann auf Nachfrage von Journal LOKAL. Das Einzugsgebiet des Mainzer Frauennotrufs umfasst neben der Stadt Mainz den Landkreis Mainz-Bingen und den Landkreis Bad Kreuznach fast komplett. Aktuell gebe es außer in Mainz aber keine Beratung vor Ort. „Wenn es keine Möglichkeit gibt für die Person, nach Mainz zu kommen, beraten wir telefonisch oder online.“ Alle Beratungen können anonym in Anspruch genommen werden, die Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht. „Manche nehmen eine Begleitperson mit zum ersten Gespräch.“ Eine wichtige Rolle spielten auch die Selbsthilfegruppen: Das sind feste Gruppen, die bei Bedarf und auf Nachfrage immer wieder neu initiiert werden können.“
Jochmanns Botschaft an traumatisierte Menschen lautete: „Sie haben keine Schuld, auch wenn Sie sich nicht gewehrt haben: Sie hatten Angst. Sie müssen sich nicht schämen, denn: Sie haben keine Schuld! Der Täter oder die Täterin sind die Schuldigen.“
Sabine Longerich

























