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„Unsere ukrainischen Schülerinnen brauchen dringend Deutschunterricht“ Gespräch mit der ukrainischen Deutschlehrerin Oksana Husak

Die deutsche Ortslehrkraft Oksana Husak (Ukraine) unterrichtet ukrainische Jugendliche - Foto: Gutenberg-Gymnasium, Mainz

MAINZ/OBERSTADT – Seit Mitte Februar 2022, unmittelbar vor dem Überfall auf die Ukraine, hat das Gutenberg-Gymnasium in Mainz mit Oksana Husak eine neue deutsche Ortslehrkraft. Oksana stammt aus der Westukraine, ist 30 Jahre alt und hat durch den Pädagogischen Austauschdienst der Kultusministerkonferenz ein einjähriges Stipendium für ausländische Lehrer erhalten, um ihre Sprachkenntnisse zu vervollkommnen. Journal LOKAL nutzte die Gelegenheit, mit ihr ins Gespräch zu kommen.

Frau Husak, Sie sprechen außergewöhnlich gut Deutsch. Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache in der Ukraine?

Nach Englisch und Polnisch ist Deutsch die wichtigste und eine sehr beliebte Fremdsprache in der Ukraine. Viele ukrainische Schüler wollen nach ihrem Schulabschluss entweder in Deutschland oder in Österreich studieren. Darum besuchen sie Deutschkurse oder lernen in Schulen mit erweitertem Deutschunterricht. In der 11. Klasse haben sie die Möglichkeit, die Prüfungen zum „Deutschen Sprachdiplom der Kultusministerkonferenz“ abzulegen. Damit können sie an einer deutschen Hochschule studieren. Außerdem können sie an verschiedenen Austauschprogrammen, Wettbewerben und Stipendien teilnehmen.

Was bewegt eine junge Frau, für ein Jahr ins Ausland zu gehen?

In erster Linie die Selbstentwicklung und die Verbesserung meiner Deutschkenntnisse. Das Jahr als Ortskraft gibt mir die Möglichkeit, das deutsche Schulsystem kennenzulernen und zu verstehen. Danach kann ich meinen ukrainischen Schülern aus eigener Erfahrung erklären, wie sich die beiden Sprachsysteme unterscheiden. Und ich gebe zu, es war mein Traum, deutsche Kultur und Alltag von „innen” zu spüren.

Seit einem Vierteljahr sind Sie nun in Mainz. Haben Sie sich gut eingelebt und Kontakte gefunden?

Am Anfang hatte ich Angst, dass es lange dauern wird, bis ich mich in Mainz einlebe und Freunde finde. Aber seit meinen ersten Tagen erfahre ich enorme Unterstützung von meiner Betreuerin, ihrem Mann und von allen KollegInnen. Ich wurde sehr freundlich empfangen. Die Atmosphäre an der Schule ist locker und entspannt. Ich fühle mich dort sehr wohl. Ich habe viele neue Kontakte geknüpft und werde oft von den KollegInnen eingeladen. Sie zeigen mir die Stadt, erzählen über Kultur und Traditionen in Mainz, und wir machen Wanderungen. Wenn ich Hilfe brauche oder Fragen habe, weiß ich, dass ich mich an jeden wenden kann. In der Ukraine habe ich oft gehört, die Menschen in Deutschland seien verschlossen und zurückhaltend, aber das ist nicht so. Alle sind so offen, freundlich und hilfsbereit.

Erzählen Sie unseren Leserinnen und Lesern über Ihre Hauptaufgaben am Gutenberg-Gymnasium.

Mein Einsatz in der Schule beträgt normalerweise zwölf Wochenstunden, aber ich mache ein bisschen mehr. Ich hospitiere viel im Deutsch- und Englischunterricht und in „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ). Manchmal erteile ich selbständig Unterricht, aber ohne Notengebung und unter Betreuung einer Lehrkraft. Außerdem muss ich im Rahmen des Stipendiums ein Projekt mit einer Klasse durchführen, das nach meiner Rückkehr in der Ukraine übertragen werden soll. Einmal pro Woche habe ich einen freien Tag und Gelegenheit, Fortbildungskurse, Online-Seminare oder Workshops zu besuchen.

Sehen Sie erste Erfolge bei Ihrer Arbeit?

Das müssen Sie meine Fachlehrerin in Deutsch fragen, aber ich würde sagen, ich sehe persönlich Erfolge. In der Ukraine arbeite ich in kleinen Gruppen von höchstens zwölf Schülern. Hier sitzen 30 vor mir. Trotzdem habe ich sehr schnell Kontakt zu den Klassen gefunden. Wenn Sie mir am Ende meines Aufenthalts dieselbe Frage stellen würden, würde ich sicher mit „Ja“ antworten.

Unterrichten Sie auch „Deutsch als Zweitsprache“?

Wir haben an unserer Schule einige ukrainische Schülerinnen, die dringend Deutschunterricht brauchen. Dort bin ich auch eingesetzt und kann selbständig arbeiten. Es ist nicht einfach für sie, die Sprache fast von Anfang an zu lernen, aber sie sind sehr motiviert und ich bin stolz auf sie, weil sie schon ohne meine Hilfe über sich und ihren Alltag auf Deutsch erzählen können.

Erlauben Sie uns noch zwei persönliche Fragen: Können Sie mit Ihrer Familie in der Westukraine Kontakt halten?

Ja, ich spreche jeden Tag mit meinen Eltern. Es ist wichtig für mich, ihre Stimmen zu hören. Mit der Internetverbindung gibt es manchmal Schwierigkeiten, sodass ein Videoanruf unmöglich ist. Sie sind gesund, teilweise in Sicherheit, wenn man das so kann. Das sind die wichtigsten Sachen für mich. Ich mache mir trotzdem viele Sorgen um sie, meine Freunde, Verwandten, das ganze Land und um unsere Zukunft.

Wie sieht die Situation in der Westukraine aus?

Die meisten Nachrichten über die Situation bekomme ich aus dem Internet. Wenn ich meine Eltern oder Freunde frage, dann wollen sie mich beruhigen und sagen, dass alles in Ordnung ist. Es ist aber nicht so. Ich weiß, dass es in der Westukraine weiterhin Luftalarm gibt, manchmal sogar Raketenangriffe und Explosionen…  „In Ordnung“ wird es dann heißen, wenn dieser Krieg endet und alle in meinem Land zu ihrem normalen und friedlichen Leben zurückkehren und keine Angst vor dem kommenden Tag haben werden.

Das Gespräch führte Ulrich Nilles