NIEDER-OLM – Kühler Februarmorgen auf dem Weingut Eulenmühle in Nieder-Olm. Doch ist die Stimmung unter den 16 Teilnehmern des Projekts „Winzer für ein Jahr“ alles andere als frostig. Auf gespannte Gesichter und neugierige Blicke folgen alsbald die ersten Fachfragen an Kultur- und Weinbotschafterin Angelika Friedrich und Winzer Christian Debo, die das Jahresprojekt und die Hobby-Winzer betreuen werden. In vier Modulen wird sich die Gruppe über das Jahr hinweg in die Materie vertiefen. Wer nach Nieder-Olm gekommen ist, will mehr als nur Wein trinken – er will Wein verstehen.
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Foto: Sabine Longerich
Der Rebschnitt macht den Anfang. Im Mai steht das Ausbrechen und Anbinden der jungen Triebe auf dem Programm, im Juni folgt das Entblättern und gegebenenfalls das Ausschneiden überzähliger Trauben. Im September dann der Höhepunkt: die Weinlese. Jeder Teilnehmer wird seinen eigenen Wein mitbegleiten und im nächsten Januar bei einer verdeckten Probe verkosten. Das Projekt „Winzer für ein Jahr“, das die rheinhessischen Kultur- und Weinbotschafter vor rund 20 Jahren ins Leben gerufen haben, nimmt nach der Pandemie wieder richtig Fahrt auf, erzählt Friedrich.
Auf der Planwagenfahrt zum Weinberg in der Udenheimer Lage „Hettenkeller“ gewährt die Kulturbotschafterin erste Einblicke. Ellen aus Sieversheim stellt die Frage, die viele umtreibt: „Warum gibt es so viele unterschiedliche Schnittmethoden?“ Die Antwort ist vielschichtig: Jede Rebsorte, jeder Standort, ja jeder Winzer hat seine eigenen Techniken und Vorlieben. Vor Ort, zwischen den noch kahlen Silvaner-Reben, übernimmt Debo. Er ist 38 Jahre alt und Winzer in fünfter Generation.
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Foto: Sabine Longerich
Das Weingut in Familienhand geht mit dem Projekt einen neuen Weg, um die Weinliebhaber nicht nur für seine edlen Tropfen, sondern auch für die harte Arbeit, die dahintersteckt, zu begeistern. Im Betrieb setzt er auf Handarbeit und Qualität statt auf industrielle Massenproduktion. Geduldig erklärt Debo die Grundlagen des Rebschnitts: Nur das einjährige Holz bleibt stehen, mit maximal zehn Augen – daraus entstehen die Triebe, die im Herbst die wertvollen Trauben tragen. Der Rest müsse weg. „Hier ist beherztes Arbeiten gefragt“, sagt er und verteilt die Rebscheren.
Erstaunlich schnell wird die Theorie in die Praxis umgesetzt. „Ich hätte nicht gedacht, dass man so entschlossen schneiden muss“, ruft Roger aus Hattersheim, der sich auf die praktische Arbeit freut, um sein theoretisches Wissen endlich zu vervollkommnen. Auch Frank, der einst Biertrinker war, aber durch seine Frau zum Wein kam, packt mit Eifer an: „Man bekommt einen ganz anderen Blick für die Arbeit hinter einer Flasche Wein. Am Ende werde ich den Wein noch vielmehr zu schätzen wissen.“
Peter aus Nierstein, im Privatleben bereits Assistent-Sommelier und nebenbei leidenschaftlicher DJ, will den Weinbau von Grund auf begreifen. „Ich bin oft auf Wein-Events unterwegs, aber ich habe das Bedürfnis, die Praxis des Weinanbaus endlich zu durchdringen.“ Vera und Klaus aus Bedburg/Erft, die bislang mit eigenen Reben wenig Erfolg hatten, nicken eifrig.
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Foto: Sabine Longerich
„Wir merken, wie wichtig das richtige Schneiden ist“, sagt Vera, während sie entschlossen eine alte Bog-Rebe entfernt. Debo ergänzt, warum Rebstöcke für gute Trauben engmaschig gepflegt werden müssen: „Selbst die neuen Piwis (pilzwiderstandsfähige Rebsorten, Red) sind nicht völlig resistent gegen Schädlinge. Sie müssen fast genauso behandelt werden wie die traditionelleren Sorten, um zu überleben und gut zu tragen.“
Als Mutter Erna alle zum Mittagessen ruft, müssen die Neulinge fast überredet werden, die Scheren aus der Hand zu legen. So viel Begeisterung für die anstrengende Handarbeit hat Friedrich nicht erwartet. „Das wollen wir erreichen: ein echtes Verständnis für die Weinproduktion.“ Der Holländer Eddy aus Nieder-Olm, der schon als Jugendlicher davon träumte, einmal in den Weinbergen mitzuarbeiten, strahlt: „Das wird ein spannendes Jahr.“
Renate und Andreas aus Ingelheim, bisher eher Weinliebhaber als Weinkenner, sind begeistert: „Ich habe jetzt schon das Gefühl, den Wein mit anderen Augen zu sehen.“ Der Tag dürfte ihnen allen lange im Gedächtnis bleiben. Und das Beste dabei? Er ist erst der Anfang eines einzigartigen Abenteuers in den rheinhessischen Weinbergen.