KRIFTEL – Fast könnte man meinen, der Covid-19 Virus habe etwas gegen die Europäische Union, sei auch ein teuflisches Mittel gegen die Völkerverständigung. Wenn die Grenzen geschlossen sind, das Reisen voller Ansteckungsmöglichkeiten ist, muss man besser zu Hause bleiben. Das trifft insbesondere die europäischen Schulen. Die Möglichkeiten der direkten Kommunikation sind begrenzt. Auslandsfahrten gab es an der Weingartenschule (WGS) in Kriftel seit zwei Jahren nicht mehr.
Wie lassen sich angesichts dieser Corona-Einschränkungen junge Menschen für das europäische Miteinander begeistern? Sorgten bisher die gegenseitigen Besuche für gemeinsame Erlebnisse, mussten in diesen Zeiten andere Wege des Kennenlernens gefunden werden. Die Frage war: Wie kann die WGS trotzdem mit ihrer spanischen Partnerschule in Kontakt bleiben und wie können die Schülerinnen und Schüler ihre Fremdsprachenkenntnisse auch im echten Leben nutzen? Die Antwort fanden drei Englischlehrerinnen gemeinsam: Oberstudienrätin Manuela Becker mit Ihrer Englischklasse G9b an der WGS und ihre spanischen Kolleginnen Pilar Bueno und Silvia Palacios Amutio an der Partnerschule IES La Laboral nutzten den digitalen Austausch.
Eine emotionale Geschichte
Die Spanierinnen hatten die Idee, dass die Schüler gemeinsam eine Kurzgeschichte schreiben sollten. Becker war anfänglich skeptisch: „Mir fehlte zunächst der emotionale Touch.“ Dann hatte sie die zündende Idee. Es sollte eine Weihnachtsgeschichte werden, weil am 1. Dezember mit dem Projekt begonnen wurde. Das fand schnell Anklang. Man musste sich nur noch über das Procedere verständigen.
Zunächst haben die Spanier und die Deutschen ein Profil von sich erstellt. „Eine Art Steckbrief“, fasst Manuela Becker zusammen. Nach mehreren Videokonferenzen wurden die passenden Partner gefunden. „Wir kannten unsere Kandidaten durch den Unterricht und konnten die passenden Teams zusammenbringen“, erzählt sie. Das habe auch sehr gut geklappt. Dann lief die Wettbewerbsphase einen Monat lang vom 1. Dezember bis zum 1. Januar 2022.
Dazu hatten die Paare Zugang zu einem digitalen Dokument, das sie gemeinsam bearbeiten konnten. Zusätzlich haben sich die Jugendlichen über diverse soziale Medien austauscht – alles auf Englisch versteht sich. „Das war wegen der Aussprache manchmal gar nicht so einfach“, erinnert sich Preisträger Colin. Aber man habe sich eben konzentriert und dem Verständnis notfalls schriftlich nachgeholfen, bestätigt auch Gewinner Senai.
Im digitalen Tandem
Selina Schleyer aus der G9b zeigte sich von der Tandem-Arbeit sehr angetan: “Schon im ersten WhatsApp-Chat war schnell klar, dass es passte.“ Die Interaktion lief reibungslos. Alle haben mitgearbeitet. Die Begeisterung war groß und hielt sogar über Weihnachten an. Es gab eben etwas Kreatives zu entwickeln. „Das hat Mega-Spaß gemacht“, fasst Marie die Zeit zusammen. „Wir alle hatten eine Aufgabe miteinander“, ergänzt ihre Klassenkameradin Selina. Das schweißt zusammen. „Teilweise haben die Jugendlichen noch über den Abgabetermin am 1. Januar hinaus gearbeitet“, freut sich Manuela Becker.
Nach Abschluss des Projekts konnten die Lehrerinnen in einem digitalen Dokument einsehen, welcher Partner wann online war und wer wie viel geschrieben hat. Nachdem die spanisch-deutsche Jury (Frau Palacios und Frau Becker) die Geschichten gelesen und beurteilt hatte, fand am vergangenen Freitag die Preisverleihung auf deutscher Seite statt. Die Kriterien waren vielfältig, von Originalität über Sprache bis zum Bereich Teamarbeit waren Punkte vergeben worden.
Glückliche Gewinner
Die in der Aula mit der ganzen Klasse G9b anwesenden Hauptpreisträger waren glücklich über ihre Preise. Gutscheine für die Drogerie Müller im Wert von 20 bis 50 Euro wurden von der stellvertretenden Schulleiterin Sabine Trapp überreicht und von den Gewinnern gerne entgegengenommen. Ihre spanischen Partner wurden dabei namentlich erwähnt.
Marie Schleuning und ihre spanische Partnerin Delia Natalia Ciulin erreichen einen tollen dritten Platz mit ihrer wahnwitzigen Liebesgeschichte, die dazu führt, dass alle sich an und mit Weihnachten versöhnen. Zweitplatzierte wurden Colin Pedersen und Héctor Serrat mit ihrer Kurzgeschichte, in der ein Mädchen ihre Schwester zu Weihnachten besucht und sich plötzlich in der Vergangenheit mit ihren Großeltern wiederfindet. Sie erkennt dabei, dass es an Weihnachten nicht nur um Geschenke geht.
Gewonnen haben Senai Mebrahtu und Ainara Diaz mit einer Geschichte, in der die Weihnachtbeleuchtung und damit auch die Weihnachtsatmosphäre ausfällt. Aber eine Gruppe von Freunden zeigt ihre Hilfsbereitschaft, indem sie eine Katze retten. Das bewegt eine alte Hexe dazu, die Weihnachtslichter zu entzünden und damit allen die Weihnachtsfreude zurückzugeben. Der zweite erste Platz ging an Selina Schleyer und Sofía Rogozan, die mit „Cookies, Milk and 4 Bad Boys“ überzeugten. Da geht es um vier Autodiebe, die von dem Weihnachtsmann in Gewahrsam genommen werden. Sie sollen ihm an Weihnachten mit den Geschenken helfen.
Europäisches Miteinander
Wie es sich zur Adventszeit gehört, haben die Geschichten ein Happy End und eine weihnachtlich angebrachte Moral. Oberstudienrätin Manuela Becker zeigte sich in ihrer Laudatio sehr angetan von der Leistung ihrer Schützlinge: „Ihr habt alle etwas Tolles geleistet. Und, was mir als Fremdsprachenlehrerin am wichtigsten ist, ihr habt die Fremdsprache gemeinsam mit einem Partner zum Reden benutzt und darum geht es. Eine Fremdsprache muss benutzt werden, um zu kommunizieren.“ Auch die stellvertretende Schulleiterin Sabine Trapp war sichtlich stolz auf die Leistungen der G9b: „Als Spanischlehrerin und ehemalige Leiterin einer Deutschen Schule im spanischsprechenden Ausland freue ich mich besonders über die gelungene Interaktion mit unserer Partnerschule.“ Eine Aktion mit erfreulichen sozialen Nebeneffekten: Manche haben sich angefreundet und möchten sich gerne „in echt“ wiedersehen.
Digital und anfassbar
Manuela Becker sieht in der „Christmas“ Aktion ein gutes Zeichen für ein verstärktes europäisches Miteinander: „Wir hoffen, dass die Jugendlichen sich vielleicht privat besuchen können, denn im kommenden Jahr wird ja wieder eine jüngere Klasse den Austausch machen.“
Bis dahin habe sie das Schreibprojekt bei der europäischen Agentur als e-twinning Projekt angemeldet. Das sei ein Tool für gemeinsame Europäische Schulprojekte. Außerdem sei eine Veröffentlichung der Kurzgeschichten vorstellbar. Die IES La Laboral, seit 15 Jahren Partnerschule, sei eine Sekundarschule mit Oberstufe und angegliederter Berufsschule. Das habe Vorteile, meint Becker: “Dadurch gibt es viele Möglichkeiten im technischen Bereich.“ Dort werden auch Drucker ausgebildet, die die Storys drucken können. So werden die Geschichten im digitalen Zeitalter „anfassbar“.
Alexander van de Loo
e-Twinning – ein Gewinn für Europa
eTwinning wurde 2005 gestartet und ist seit 2014 fest in Erasmus+, dem europäischen Programm für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, integriert. eTwinning fördert Schulpartnerschaften in Europa durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien. Das Grundkonzept besteht darin, dass Schulen mit einer anderen Schule im europäischen Ausland eine Partnerschaft eingehen und gemeinsam ein Projekt entwickeln. Die beiden Schulen kommunizieren mithilfe des Internets. Ziel ist es, länderübergreifend zusammenzuarbeiten, die interkulturelle Kompetenz zu stärken und die digitalen Kommunikationsfähigkeiten zu verbessern. vdL