Start Freizeit & Reisen Winzer für ein Jahr auf dem Weingut Paulinenhof „Wir kommen als Fremde...

Winzer für ein Jahr auf dem Weingut Paulinenhof „Wir kommen als Fremde und gehen als Freunde“

Christian aus Hamburg, einer der ,Winzer für ein Jahr', hat die Technik perfektioniert. Foto: Sabine Longerich

SELZEN – Was haben vier Männer aus Hamburg und Schleswig-Holstein, zwei Freundinnen aus Rostock, ein Lehrer aus der Nähe von Düsseldorf, ein Software-Architekt aus Mainz, ein Coaching-Paar aus Nieder-Olm und eine Physiotherapeutin aus Oppenheim gemeinsam? Genau, sie gehören zur aktuellen Gruppe „Winzer für ein Jahr“, die sich vor Kurzem zu ihrem vierten Termin im Weingut Paulinenstift in Selzen zusammengefunden haben.

„Winzer für ein Jahr“ ist ein gemeinsames Projekt der Kultur- und Weinbotschafter Rheinhessen (KWB). Mehrere Teams, aus Winzern und Botschaftern bieten in der Region den Weinliebhabern die Gelegenheit, aktiv am Jahreszyklus eines Winzerbetriebs teilzunehmen. An vier Aktionstagen erleben sie die wichtigsten Phasen des Weinbaus – vom Rebschnitt im Winter über die Pflege im Sommer bis zur Traubenlese und Weinproduktion im Herbst. Ein besonderes Highlight ist die Verkostung des eigenen Weins.

Journal LOKAL nutzte die Möglichkeit, die angehenden Winzer einen Vormittag lang bei ihrer spannenden und anstrengenden Tätigkeit in die Weinberge zu begleiten. Winzer Tim Bernhard bot an diesem Tag direkt am Weinstock tiefe Einblicke in die Praxis des Weinbaus und brachte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bei bestem Sommerwetter ganz schön ins Schwitzen – aber der Reihe nach…

Lagebesprechung im Weingut vor der Weinlese. Foto: Sabine Longerich

Die elfköpfige Gruppe stellt Kultur- und Weinbotschafterin Pauline Bernhard als „etwas ganz Besonderes“ vor: „Sie haben sich gesucht und gefunden. Seit dem ersten Tag trägt sie eine besondere Verbindung, es wurden freundschaftliche Kontakte geknüpft, man besucht sich gegenseitig. Und einige Gruppenmitglieder kommen auch zwischendurch mit Freunden und Ehepartnern zu Besuch in die Gegend, teilweise aus dem hohen Norden Deutschlands. Kein einziger von ihnen hat auch nur einen Tag gefehlt.“ Pauline Bernhard verrät, dass die Gruppe sich nicht mit den geplanten vier Terminen zufriedengibt: „Im Januar treffen sich alle nochmals im Weingut, um zusammen in unserer Küche zu kochen und das Jahr nochmals Revue passieren zu lassen.“ Diese besondere, nicht selbstverständlich Gastfreundschaft zeichnet Familie Bernhard aus.

Nicole, Kerstin und Jürgen bei der Lese. Foto: Sabine Longerich

Der Tag der Weinlese beginnt mit Kaffee, Tee und Keksen und einer freundlichen Begrüßung durch Mutter Ina und Tochter Pauline. Und dann geht‘ s auch schon los mit Winzer Tim Bernhard, der zunächst den beeindruckenden Trauben-Vollernter vorstellt und dann die ganze Gesellschaft im Anhänger hinter seinem Traktor Platz nehmen lässt. Noch ist es diesig, aber 30 Grad sind angesagt und die Vorhersage erfüllt sich pünktlich zur Arbeit im Weinberg. Während der Fahrt sind die Gäste aus dem Norden noch ziemlich ruhig, was wohl dem gestrigen Abend auf der Selzener Kerb geschuldet ist. Wie soll man Land und Leute auch besser kennenlernen, als mit einem guten Schoppen in bester Gesellschaft?

Eine ganz tolle Hobby-Winzer-Truppe. Foto: Sabine Longerich

Angekommen im Weinberg, bietet sich den Fast-Winzern ein wunderbares, typisch rheinhessisches Bild. Grüne Weinberge mit teilweise schon bunten Blättern, reife Trauben, soweit das Auge reicht, alles noch von leichtem Dunst überzogen, darüber die Windkraftanlagen und ein wunderbarer Blick ins Tal. Aber wir sind zum Arbeiten hier! Bernhard, Winzer seit zehn Jahren, macht deutlich, dass für ihn nun die wichtigste Zeit des Jahres beginnt: die Weinlese. Er erklärt, wie der Zuckergehalt der Trauben gemessen wird und welche Alkoholkonzentration sich daraus ergibt. Er referiert über Pilzbefall, Düngung und Prognosen zur Qualität des Weins. Vor der Handlese erklärt er den Teilnehmern die Handhabung des Werkzeugs und worauf sie beim Schneiden achten müssen.

Letzte Instruktionen vor der Handlese. Foto: Sabine Longerich

Zehn Personen bewaffnen sich mit Zehn-Liter-Eimern und machen sich ans Werk, Trauben der Sorte Regent zu lesen. Christian, Krankenpfleger aus Hamburg und mit Ehemann Bernhard dabei, bietet sich als erster Buttenträger an, was ihn recht schnell zum Schwitzen bringt. Aber er hält durch, lässt sich die vollen Eimer in die Butt kippen und schafft die Trauben in bereitstehende Wannen. Nach zwei Stunden Handlese sind alle rechtschaffen müde, ruhen sich bei Wein und Wasser auf dem Anhänger aus und bewundern einmal mehr die Winzer, die fast während des ganzen Jahres sehr schwere handwerkliche Arbeit leisten müssen und die noch dazu abhängig von den Witterungsbedingungen sind.

Ute leert ihren Eimer in die Butt. Foto: Sabine Lomgerich

Gefragt nach den Gründen für ihre Teilnahme antworten Kerstin, Hotelière, und Nicole, Sparkassenangestellte, aus Rostock: „Wir trinken gern Wein und wollten einfach den ganzen Prozess des Weinmachens von der Pike auf verstehen. Uns ist schnell bewusst geworden, wie viel schwere Arbeit und wie viele Arbeitsschritte in der Weinproduktion stecken. Eigentlich wird der Wein viel zu preiswert angeboten. Wir schätzen jetzt jede einzelne Flasche und geben lieber mehr als zu wenig dafür aus.“ Thorsten aus Schleswig-Holstein ergänzt: „Ich kann nur den Kopf schütteln über Leute, die Wein beim Discounter kaufen. Ich habe schnell gelernt, dass ich dieses tolle Produkt bewusst genießen und wertschätzen muss. Ich habe schon ein schlechtes Gewissen, den guten Wein auch zum Kochen zu nutzen.“

Auch Ute und Michael aus Nieder-Olm sind voller Respekt für die Arbeit der Winzer und ihrer Familien. Michael steckt selbst in der Ausbildung zum Kultur- und Weinbotschafter und kann nun von authentischen Erfahrungen berichten. Ganz anders die Begründung von Kirsten, Physiotherapeutin aus Oppenheim: „Ich habe schon als Jugendliche bei der Weinlese mitgearbeitet und fand die Zeit im Weinberg immer ganz toll. Ich genieße jeden Tag mit dieser Gruppe, besonders die Arbeiten direkt am Weinstock.“

Winzer Tim ist mit der Ausbeute zufrieden. Foto: Sabine Longerich

Christian bringt es schließlich auf den Punkt: „Wir kommen seit 13 Jahren in diese Gegend und haben uns letztes Jahr entschlossen, endlich den ganzen Weinbauprozess kennenzulernen und den Wein nicht nur zu trinken. Wir alle haben die ganze Familie Bernhard in unsere Herzen geschlossen, nicht nur wegen des tollen Kurses und der enormen Wissensvermittlung. Die Verpflegung und die Betreuung sind sensationell. Ich kann nur sagen: Du kommst als Fremder, und du gehst als Freund. Und als dieser komme ich immer wieder.“

Hintergrund: Das Projekt „Winzer für ein Jahr“ bietet Weininteressierten die einzigartige Möglichkeit, aktiv am Jahreszyklus eines Winzerbetriebs teilzunehmen und die Arbeit in Weinberg und Keller aus erster Hand zu erleben. Es richtet sich an Menschen, die den Wein lieben, die einen tieferen Einblick in die Weinherstellung gewinnen möchten und die selbst den Weg von der Rebe bis zum fertigen Wein miterleben wollen. Mitmachen kann jeder über 18 Jahre, nur Interesse am Produkt Wein sollte man haben. Es ist keine Vorerfahrung nötig.

Eine angemessene Stärkung nach schweißtreibender Arbeit im Weinberg. Foto: Sabine Longerich

Die Teilnehmer durchlaufen an vier Aktionstagen alle wichtigen Phasen des Weinbaujahrs. Zu den Hauptthemen gehören der Rebschnitt im Winter, wobei an erster Stelle steht, wie man die Reben richtig schneidet, um ein gesundes Wachstum zu fördern. Im Sommer steht die Pflege der Reben während der Wachstumsperiode auf dem Plan, bei der Traubenlese im Herbst wird der Weg von der Lese bis zur Pressung nachvollzogen. Natürlich gehört ein umfassender Einblick in die Weinproduktion, von der Gärung bis hin zum Abfüllen, zur Ausbildung dazu. Ein Höhepunkt des Winzerjahres ist für die meisten der Teil des Kurses, in dem es um Weinverkostung und Sensorik geht. In der Gruppe verkostet man im Winter dann seinen eigenen Wein, vergleicht ihn mit dem Produkt des Winzers vom selben Most und erkennt hoffentlich Aromen und Geschmacksrichtungen. Abschließend erhält jeder das Zertifikat.

Der Paulinenhof in Selzen ist in mehrfacher Hinsicht für das Projekt „Winzer für ein Jahr“ prädestiniert. Ist doch die Bedingung für die Teilnahme, dass das Projekt nur gemeinsam von einem Winzer und einem Kultur- und Weinbotschafter beziehungsweise -botschafterin angeboten werden kann. In der Rolle des Winzers führen Vater Rolf und Sohn Tim durchs Jahr, Mutter Ina und Tochter Pauline ergänzen das Angebot als zertifizierte Kultur- und Weinbotschafterinnen.

Im Weingut kombiniert man traditionelles Weinwissen mit moderner Technik und nachhaltigen Anbaumethoden. Die Weine zeichnen sich durch ihre typische rheinhessische Charakteristik aus, die durch die fruchtbaren Böden und das milde Klima der Region geprägt ist. Neben klassischen Rebsorten bietet man in der lichtdurchfluteten, mit dem Gütesiegel „Rheinhessen ausgezeichnet“ prämierten Vinothek auch innovative Weinkreationen und Sekte nach traditioneller Flaschengärung sowie Spirituosen an.

Familie Bernhard legt besonderen Wert auf den persönlichen Kontakt zu ihren Kunden. Die Teilnahme am Weinzyklus auf dem Paulinenhof bietet daher nicht nur fachliche Einblicke, sondern auch familiäre Gastfreundschaft und die Möglichkeit, Teil einer Weinbautradition zu werden.

Die Infos für das kommende Jahr sind hier abrufbar. Die Anmeldungen sind ab sofort unter winzer@kwb-rheinhessen.de möglich.

Interessierte können sich auch im Weingut Paulinenhof unter www.weingutpaulinenhof.de informieren.

Vorheriger ArtikelSamba-Party für die Erntemajestäten von Heidesheim
Nächster ArtikelHistorischer Blick auf Erntedank in Heidesheim
Bis zu meiner Pensionierung im November 2022 leitete ich die Stabsstelle Kommunikation und Presse der Unfallkasse Hessen in Frankfurt. Als Chefredakteurin für unser vierteljährliches Magazin inform mit dem Schwerpunkt Arbeit und Gesundheit war es meine Aufgabe, die Texte und Artikel zahlreicher Fachredakteure und Autoren anzufordern und lesergerecht zu optimieren. Ich selbst war mehr als 30 Jahre lang als Magazin-Autorin tätig, besonders als Interviewpartnerin für hessische Bürgermeister*innen und Unternehmensleitungen. Zusätzlich war ich als Pressesprecherin für die Kommunikation der Geschäftsführung zuständig.