NACKENHEIM – Traditionell zu seinem Geburtstag am 27. Dezember bietet das Ortsmuseum Nackenheim Jahr für Jahr eine besondere Veranstaltung zu Ehren Carl Zuckmayers, Nackenheims berühmtesten Sohn, an. In diesem Jahr referierte der rheinhessische Kultur- und Weinbotschafter Frieder Stauder unter dem Titel „Vom Verräter zum Ehrenbürger“ jedoch nicht über den Literaten selbst, sondern über das besondere Verhältnis des Schriftstellers zu den Bewohnern seines Heimatortes, oder besser gesagt: das Verhältnis der Nackenheimer zu ihm.
Ursache der jahrelangen Zwistigkeiten war Zuckmayers erste Erfolgskomödie „Der fröhliche Weinberg“, die 1925 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin uraufgeführt wurde – ein „Liebeslied“ an seine rheinhessische Heimat, wie er selbst betonte. Doch wie es mit Liebesbekundungen manchmal so ist, kam sie bei den Nackenheimern überhaupt nicht gut an. Während die Komödie zum erfolgreichsten Theaterstück der Weimarer Republik wurde, fühlten sich die Nackenheimer herabgewürdigt und vorgeführt. Obwohl in dem ganzen Stück nicht einmal der Name Nackenheim erwähnt wurde, waren es doch die im Ort bekannten Personen des Stücks, allen voran der Gutsbesitzer Carl Gunderloch, die sich von der ungeschönt-hintergründigen Darstellung des dörflichen Lebens betroffen fühlten. Und auch die katholische Kirche nutzte die aufgebrachte Stimmung zu Protesten, sahen ihre Vertreter in der Komödie doch eine „Orgie der Unzucht“. Ein legendärer Höhepunkt der Auseinandersetzung war schließlich ein Plakat der Nackenheimer Winzer anlässlich der geplanten Aufführung der Komödie am Mainzer Staatstheater mit der sinngemäßen Botschaft in Sütterlinschrift:
„Carlchen komm nach Nackenheim, /du sollst uns sehr willkommen sein.
Wir hauen lahm und krumm dich all /und sperrn dich in den Schweinestall. /Denn da gehörst du hi.“
An dieser Stelle wies Frieder Stauder allerdings auf den Umstand hin, dass die große Bauern- und Winzerdemonstration in Mainz nicht primär der Theateraufführung galt, sondern sich gegen die Gesetzgebung der französischen Besatzungstruppen, insbesondere der erhöhten Weinsteuer, richtete. Und auch sonst sah Frieder Stauder den Unmut der Nackenheimer mehr im sozialen Kontext: Auf der einen Seite das ärmliche Leben der Menschen vor Ort, auf der anderen Seite der berühmte Sohn in einer der damals schillerndsten Städte der Welt. Ein bisschen Sozialneid ist da wohl schon mitgeschwungen.
Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende: Als der Nackenheimer Ortsbürgermeister Paul Lenz 1951 dem Gemeinderat die Ernennung Carl Zuckmayers zum Ehrenbürger vorschlug, drohte ein erbittert geführter Streit, um diese Würde das Dorf zu spalten. Insbesondere die Familie Usinger, Nachfolger der Gunderlochs, wehrte sich vehement gegen die Ehrenbürgerschaft. Der Streit schlug auch überregional hohe Wellen, stieß dabei allerdings auf völliges Unverständnis. Wie konnte ein kleines, unbekanntes, unbedeutendes und hässliches Dorf einem der wichtigsten Schriftsteller Deutschlands diese Ehre verweigern, so der allgemeine Tenor? Als Zuckmayer schließlich 1952 zum Ehrenbürger ernannt wurde, schien dieser Zwist jedoch vergessen. Zuckmayer fühlte sich nach eigenen Worten herzlich willkommen in seinem Heimatort und selbst die Usinger schlossen ihren Frieden mit ihm – allerdings erst 1971, also fast 20 Jahre später.
Michael Türk