OPPENHEIM/NIEDER-OLM/INGELHEIM/BODENHEIM – Vor wenigen Wochen wurde Dekan Olliver Zobel von der evangelischen Dekanatssynode Ingelheim-Oppenheim in das Amt wiedergewählt. Im Interview mit Hilke Wiegers vom Öffentlichkeitsbüro des Dekanats, das Journal LOKAL an der Stelle wiedergibt, nimmt er Stellung zu Fragen, die aktuell die evangelischen Christen bewegen.
Hilke Wiegers: Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wiederwahl. Wie groß ist Ihre Freude über die erneute Beauftragung?
Olliver Zobel: Groß, auch wenn ich weiterhin viel Respekt vor dieser Aufgabe habe. Verantwortung für über 40.000 Kirchenmitglieder und bald 400 Mitarbeitende zu tragen, das klappt nur mit einem guten Team. Es geht es darum, bei all den Veränderungen und Herausforderungen nicht das Ziel und die Hoffnung aus dem Blick zu verlieren. Dabei helfen mir auch zwei Gewissheiten: Gott fordert nie mehr, als ich kann. Wenn mir dennoch alles zu viel wird, dann sollte ich meine Wünsche und Anforderungen an mich selbst überprüfen. Und ich muss nicht allein auf meine Weisheit und Kräfte bauen – Gott schenkt mir beides – allerdings nicht im Voraus.
Wiegers: Was motiviert Sie nun für die kommenden sechs Jahre als Dekan?
Zobel: Ich möchte Gott und den Menschen dienen und habe Lust darauf, zusammen mit Ehren- und Hauptamtlichen weiter zu überlegen, wie wir eine bunte und vielfältige Kirche sein können. Was wir lassen können, ohne diese Vielfalt zu verlieren, aber vor allen Dingen, wo wir neue Möglichkeiten finden, Neues wagen können, unseren Platz im gesellschaftlichen Diskurs zu festigen.
Wiegers: Angesichts der zunehmenden Kritik in Öffentlichkeit und Medien: Braucht es Kirche heute noch?
Zobel: Sicherlich brauchen wir heute noch die Kirche. Das vielfach prognostizierte post-christliche Zeitalter ist nicht angebrochen. Das sehe ich an den Tauffesten des vergangenen Jahres, die super angenommen wurden, an den Schul- und Weihnachtsgottesdiensten, die sehr gut besucht werden, oder an den sozialen Angeboten, die auch unsere Kirchengemeinden machen, und die auf ein großes Echo stoßen.
Wiegers: Wo sehen Sie die Verantwortung von Kirche in und für die Gesellschaft?
Zobel: Wir brauchen Kirche als Ansprechpartner und Akteur in unserer Gesellschaft. Gerade bei den jüngsten Demonstrationen gegen Rechts hat es mich gefreut, dass sich unsere Mitglieder in großer Zahl beteiligt haben. Sie haben durch ihre lila Plakate gezeigt: Kirche steht für Vielfalt und dafür gehen wir auf die Straße. Bald werden an vielen Kirchen Fahnen wehen mit dem Motto: Unser Kreuz kennt alle Farben. Rechte Gesinnung und christlicher Glaube passen nicht zusammen. Parteien, die dies vertreten, sind für mich als Christ nicht wählbar. Kirche wird als Vermittlerin zwischen den sich immer stärker verhärtenden politischen und gesellschaftlichen Fronten gebraucht.
Wiegers: Und wie kann Kirche zukünftig mit der Kritik zum Thema sexualisierte Gewalt umgehen?
Zobel: Auf jeden Fall gilt es Prävention und der Umgang mit und die Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt stärker in den Blick zu nehmen. Die ForuM-Studie hat deutlich gezeigt, dass es auch in der Evangelischen Kirche Rahmenbedingungen gibt, die sexualisierter Gewalt Vorschub leisten. Die müssen wir verändern: Nicht zu schnell von Vergebung und Verständnis sprechen und auch unsere Verantwortungsstrukturen klären und straffen. Es gilt verlorengegangenes Vertrauen wieder aufzubauen – durch Offenheit, durch Ehrlichkeit, aber auch durch die Bereitschaft anzuerkennen, dass wir für manche Dinge noch nicht die Lösung haben, dass wir aber aus unseren Fehlern lernen wollen.
Wiegers: Wie kann Kirche sich wieder stärker in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen?
Zobel: Zunächst sollten wir unsere Reformprozesse und damit die Beschäftigung mit uns selbst schnell hinter uns bringen, um wieder stärker nach außen wirken zu können. Auch müssen wir selbst bei einigen Themen unsere Standpunkte überdenken und neu justieren. Zum Beispiel wie wir uns zum Thema Krieg positionieren – zu Aufrüstung und Gewalt. Wir müssen aber auch neu über die Endlichkeit ins Gespräch kommen, die Art des Sterbens und der Sterbebegleitung. Vorbildlich finde ich das Sterbehospiz, das derzeit in Ingelheim entsteht.
Wiegers: Wie wollen Sie diese großen Aufgaben angehen?
Zobel: Wir brauchen heute eine Kirche, die bunt und vielfältig ist, weil unsere Gesellschaft bunt und vielfältig ist. Vergleichen wir es doch mit dem Hotelfrühstück früher: Da reichten zwei Brötchen, Butter, Marmelade und Kaffee. Heute muss es ein ganzes Büffet zusätzlich mit Wurst, Käse, Obst und Müsli sein. Als Kirche kommen wir nun auch nicht mehr mit der einen Form des sonntäglichen Gottesdienstes um 10 Uhr aus, das verfängt bei vielen nicht mehr. Man möchte Alternativen. Aber mit diesen Alternativen sind einzelne Gemeinden schnell überfordert, deshalb schließen sich Gemeinden gerade in Nachbarschaftsräume zusammen. In diesen gibt es bereits viele Alternativen und gemeinsam kann man auch noch weitere entwickeln. In den Nachbarschaftsräumen arbeiten Verkündigungsdienstteams. Das bietet die Chance, die verschiedenen Gaben und Möglichkeiten besser einzusetzen und auch ein vielfältigeres Angebot zu machen. Warum nicht zwei bis drei verschiedene Konzepte für Konfirmanden, unter denen sie in ihrer Nachbarschaft wählen können?
Die Bildung von Nachbarschaftsräumen ist ein massiver Systemwechsel, der gerade alles von uns fordert und noch fordern wird. Für mich ist eine Kirche die richtige Antwort, die sich ihrer Möglichkeiten bewusst ist, sich aber damit nicht zufriedengibt und bereit ist, sich weiterzuentwickeln.
Wiegers: Welche Schwierigkeiten, aber auch welche Chancen sehen Sie in dieser Entwicklung?
Zobel: Wir müssen die Veränderungen mit immer begrenzteren Mitteln und weniger Mitarbeitenden hinbekommen, das macht es nicht leichter. Das bedeutet auch, dass wir uns in den nächsten Jahren von Aufgaben und Gebäuden trennen. In manchen Punkten können wir einiges sehr gut an Partner abgeben, mit denen wir auch weiter in Kontakt bleiben. Ich bin mir aber leider sicher, dass wir durch unseren Wandel auch ungelöste Probleme hinterlassen werden. Wichtig ist mir dabei, dass wir nicht nur darauf schauen, was bleibt. Es geht vielmehr auch darum, Neues auf den Weg zu bringen. Wenn die grundlegenden Rahmenbedingungen geklärt sind: neue Ehrenamtliche zu gewinnen und neue finanzielle Ressourcen zu erschließen.
,Ecclesia semper reformanda est‘ ist ein alter und guter Grundsatz der Evangelischen Kirche, er bedeutet, dass die Kirche beständig reformiert werden muss. Das wird das auch dieses Mal wieder klappen, sonst würde ich nicht noch einmal diese Verantwortung als Dekan übernehmen.
Wiegers: Vielen Dank für das Gespräch.
red