
RÜSSELSHEIM – Die Zeit direkt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war in Rüsselsheim am Main wie im ganzen Land von knappen Ressourcen und Tauschhandel, von der Notwendigkeit des Überlebens und des Wiederaufbaus geprägt. Doch 1945 fand auch ein wichtiger Aufbruch statt: Die US-amerikanische Besatzungsverwaltung setzte in Rüsselsheim einen Bürgerausschuss mit 24 Mitgliedern der zugelassenen politischen Parteien ein. Eine seiner Aufgaben war die Vorbereitung der ersten demokratischen Kommunalwahl in der Stadt nach der NS-Zeit. Sie fand am 27. Januar 1946 statt, vor 75 Jahren.
„An dieses Gründungsdatum der Rüsselsheimer Stadtverordnetenversammlung als demokratisch legitimiertem Parlament sollten wir uns würdigend erinnern“, sagt Oberbürgermeister Udo Bausch. „Die aktive und die passive Teilhabe der Stadtgesellschaft an der Politik im Ort steht im Zentrum gelebter und lebendiger Demokratie auf lokaler Ebene. Deshalb ist es auch so wichtig, dass möglichst viele Menschen in Rüsselsheim am Main bei der bevorstehenden Kommunalwahl am 14. März 2021 von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen“, appelliert der Oberbürgermeister erneut, wählen zu gehen.
Wie wertvoll dieses Recht ist, hob Anfang 1946 im Vorfeld der Kommunalwahl der damalige Beigeordnete der Stadt Rüsselsheim, Alfred Schmidt, hervor. In einer Rede sagte er: „Nach Jahren vorgeschriebener Meinungsäußerung und Knebelung jedes freien Wortes sollen jetzt nach 13 Jahren Wahlen in Deutschland stattfinden. Freie Wahlen, zwar angeordnet von einer Besatzungsmacht, die uns aber die Möglichkeit geben, unsere Meinung zum Ausdruck zu bringen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Wahl nicht nur in ganz Deutschland, sondern der ganzen Welt mit größtem Interesse und mit größter Spannung verfolgt und das Ergebnis der Wahl vom Ausland gesehen als Maßstab der politischen Gesundung des deutschen Volkes gewertet werden wird.“
Und welche Themen beschäftigten die Stadtverordneten im ersten Jahrzehnt nach der Wahl 1946 besonders stark? Es war eine vor allem zu Beginn entbehrungsreiche Zeit, aber auch eine Zeit des Aufbruchs: Der seit 1945 laufende Wiederaufbau des kriegszerstörten Opel-Werks, wo ab Dezember 1947 wieder Autos vom Band liefen, wurde 1954 abgeschlossen. Gleichzeitig begann 1951 der Bau des neuen Werks K40.

Eine drängende Frage der Anfangsjahre war das Wohnen. So stimmten die Stadtverordneten beispielsweise im Juli 1946 dem „Gesuch des Adam Enders auf Errichtung eines Behelfsheimes“ zu und beschlossen im September 1947 die „Umsetzung des Wohnungsnotbauprogramms“ im Geiersbühl, am Marktplatz und in der Siedlung. Die einzelnen Maßnahmen halfen, doch es brauchte einen größeren Wurf. So beauftragte das Parlament im Herbst 1949 die Verwaltung, „baldmöglichst die erforderlichen Schritte zur Gründung der sogenannten Wohnbaugesellschaft zu unternehmen“ – daraus entstand 1954 die heutige gewobau Rüsselsheim.
Auch Infrastrukturprojekte beschäftigten die Lokalpolitik der späten 1940er- und frühen 1950er-Jahre erheblich. Das reichte vom Wiederaufbau der Brücke nach Flörsheim 1946, der Wiedereröffnung des Opel-Bahnhofs 1949 und des Wiederaufbaus des Bahnhofs über die Einrichtung eines städtischen Omnibusverkehrs ab März 1951 und den 1952 vollendeten Rathausbau bis zu wichtigen Straßenbaumaßnahmen und der Planung von zwei Bahnunterführungen. Die in dieser Zeit getroffenen Entscheidungen, zu denen auch der Bau des 1956 am neuen Standort eröffneten Krankenhauses gehörte, prägen die Stadt Rüsselsheim am Main bis heute.
Um die Stimmen der Rüsselsheimer Bürgerinnen und Bürger bewarben sich vor 75 Jahren drei Fraktionen: SPD, CDU und die KPD. Während die Sozialdemokraten mit 4.431 Stimmen und die Christdemokraten mit 2.450 Stimmen in das neue Parlament gewählt wurden, scheiterten die Kommunisten mit 991 Stimmen knapp an der damals geltenden 15-Prozent-Grenze. Zunächst hatte der neu gewählte „Gemeinderat“ (der Name „Stadtverordnetenversammlung“ setzt sich erst ab 1949 durch) zwölf Mitglieder: acht Abgeordnete der SPD, unter ihnen Parlamentsvorsteher Ludwig Berner, sowie vier Ratsmitglieder der CDU. Einzige Lokalpolitikerin der ersten Stunde war Dina Engel (SPD).
Schon in der ersten Sitzung am 12. Februar 1946 wurde der Beschluss gefasst, das Gremium auf 24 Mitglieder zu vergrößern. Dazu heißt es im Gemeinderatsprotokoll: „Die Erhöhung wird damit begründet, dass bei einer Zusammensetzung von nur 12 Gemeindevertreter [!] die Verteilung auf die einzelnen vorbereitenden Ausschüsse eine allzustarke Belastung für die einzelnen Mitglieder mit sich bringen müsste“. Als weiteres gutes Argument galt, dass der bisher bestehende Bürgerausschuss ebenfalls 24 Mitglieder hatte. Die Amtseinführung des erweiterten Parlamentes fand am 26. März 1946 statt.
Nach nur zwei Jahren wurde in Hessen wieder gewählt. Bei der Kommunalwahl 1948 zog auch die KPD in das Parlament ein. Das politische Klima blieb konstruktiv, wie der langjährige Leiter des Rüsselsheimer Stadtarchivs, Dr. Wolfram Heitzenröder, 2005 schrieb: „Der Aufbauwille der gesamten Bevölkerung einte auch die Parteien, sodass die Kommunalpolitik fast zehn Jahre lang von allen Fraktionen relativ einmütig getragen wurde.“
In den nächsten Jahrzehnten änderte sich die Größe des Parlamentes immer wieder – darin spiegelte sich auch die dynamische Entwicklung der Stadt wider: 37 Sitze waren es ab 1956 und 49 Sitze ab 1968. Bei der Erweiterung der Stadtverordnetenversammlung im Jahr 1972 auf 59 Sitze wurde der Umzug der Sitzungen aus dem damaligen Ratssaal (heute das Trauzimmer des Rathauses) in die Aula der Immanuel-Kant-Schule notwendig. Nach der Kommunalwahl 2001 verringerte sich die Anzahl der Abgeordneten dann wieder auf 45 – die heutige Größe des Kommunalparlamentes.
Der erste Rüsselsheimer Stadtverordnetenvorsteher war Ludwig Berner (SPD). Auf ihn folgten 1951 Heinrich Kyritz (SPD), 1955 Christian Vatter (SPD), 1963 Werner Bechtel (SPD), 1981 Kurt Reinhardt (CDU), 1985 Siegbert Reinig (SPD), 2006 Renate Meixner-Römer (SPD), 2011 Heinz E. Schneider (CDU) und 2016 Jens Grode (SPD).
Magistrat der Stadt Rüsselsheim am Main
Fachbereich Zentrales