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„Der Tod war meine Rettung“ Romanvorstellung >>>Anja Wendel über ihr radikal ehrliches Debüt

Anja Wendel hat ein Buch über das Überleben geschrieben. Foto: Gregor Starosczyk-Gerlach

RHEINHESSEN – Die Autorin Anja Wendel aus Mörstadt legt mit „Geliebter Tod“ ein mutiges, autobiografisch gefärbtes Debüt vor. Sie erzählt von Ausgrenzung, Gewalt und einer Gabe, die sie seit ihrer Kindheit begleitet: dem Sehen von Auren und dem Spüren des Todes. „Der Lokalbezug zu Rheinhessen bin ich“, sagt Wendel. Denn ihre Geschichte spielt in ihrer Heimat – nicht nur geografisch, sondern seelisch. „Das ist meine Geschichte. Das bin ich. Und zwar ganz pur.“

Anfangs habe sie fiktive Ortsnamen verwendet, doch das fühlte sich „nicht richtig“ an. Nur echte Schauplätze machten den Text authentisch – einzige Ausnahme: die Namen der Personen, „die in meinem Buch nicht gut wegkommen“.

Anne Sanders, die Protagonistin, sieht als Kind Dinge, die andere nicht sehen. Für sie ist es selbstverständlich, wenn sie sagt: „Ich sehe die Krankheit. Ich sehe den Tod.“ Ihre Umwelt reagiert mit Ablehnung. „Ich war die fette Sau“, erinnert sich Wendel an ihre Schulzeit. Ausgrenzung, Demütigung, körperliche Gewalt – sie erlebte all das über Jahre hinweg. Eine frühe Typhuserkrankung, von Ärzten nicht ernst genommen, hätte sie beinahe das Leben gekostet.

Diese Erfahrungen verwebt sie im Buch zu einer eindrücklichen Lebensgeschichte – nicht frei erfunden, sondern literarisch verdichtet. „Es sind meine Memoiren – nur ganz platt gesagt.“

In einer tiefen Krise mit Mitte 30 landet Anne im Krankenhaus – lebensmüde. Dort erscheint ihr der Tod. Kein düsterer Schatten, sondern ein ruhiger, neutraler Begleiter. Er fordert keine Entscheidung, sondern bietet eine Wahl: Gehen oder bleiben?

Anne will bleiben. Beim Tod. Doch bevor sie sich entscheidet, führt er sie durch Episoden ihres Lebens. Die Reise wird zur Prüfung – und zur Selbstentdeckung. Das Buch, sagt Wendel, beinhalte trotz der ernsten Themen auch heitere Passagen. Es sei „ein grausam lebensbejahendes Buch“, sagt sie. Humor und Selbstironie – auch das gehört zu ihrer Sprache.

Eine der zentralen Szenen schildert den Moment, in dem Anne sich gegen ihre Peiniger wehrt. Nach Jahren der Gewalt schlägt sie zurück – ein Akt der Notwehr, aber auch ein Befreiungsschlag. Fortan ändert sich etwas. Die offene Gewalt endet, erste Respektmomente keimen auf. „Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Wendels Hypnosepraxis heißt „Wende.Punkt“ – ein bewusst gesetzter Bezug zur Geschichte ihrer Protagonistin.

Die bisherigen Leser berichten der Autorin, das Buch habe sie ermutigt, über eigene Erfahrungen zu sprechen – mit Familien, mit Kindern. Manches Leben soll sich durch das Buch verändert heben, sagt Wendel. Trotz der schweren Themen ist „Geliebter Tod“ kein trostloses Buch. Es zeigt: Schmerz kann Kraft gebären. Anderssein kann ein Geschenk sein. Der Tod, der oft gefürchtet wird, kann ein Lehrer sein. Das Buch endet mit einem Blick in die Zukunft. Anne trifft eine Entscheidung – welche, verrät Wendel nicht. Nur so viel: „Mein Leben wird exakt so enden wie in diesem Buch beschrieben.“

Ihr eigenes Leben schrieb sie mutig fort. Mit einer Krebsdiagnose, einer Amputation, einer Prognose: vier Monate zu leben. Wendel lehnte schulmedizinische Behandlungen ab – und lebt bis heute. Für sie der Beweis, dass Heilung auch aus eigener Kraft kommen kann. „Geliebter Tod“ ist somit kein Buch über das Sterben. Vielmehr eines über das Überleben. Und über die Kraft, sich selbst nicht aufzugeben.

 

 

Gregor Starosczyk-Gerlach