RÜSSELSHEIM – Onkologisch erkrankten Patienten ist diese Situation bestens bekannt: Sie erfahren aus den Medien von neuartigen Behandlungsmöglichkeiten für ihre Erkrankung und fragen sich, ob auch ihnen diese Therapien helfen könnten. Und wenn ja, ob auch ihr Arzt ihnen diese Behandlung anbieten kann. Schließlich ist Krebs eine Erkrankung, bei deren Behandlung es insbesondere um Lebenszeit, Lebensqualität und oft um das Leben selbst geht.
Normalerweise findet die Behandlung von onkologisch erkrankten Patienten im Rahmen sogenannter „Leitlinien“ statt. Diese werden von Expertengruppen erarbeitet und regelmäßig an den aktuellen wissenschaftlichen Stand angepasst. In den Leitlinien für die Krebsbehandlung findet der Facharzt wissenschaftlich fundierte, praxisorientierte Handlungsempfehlungen für die Therapie seiner Patienten. Eine leitliniengerechte Behandlung wird üblicherweise auch von den gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) bezahlt.
„Es kann aber vorkommen, dass eine Behandlung nach Leitlinie nicht oder nicht mehr möglich ist. Zum Beispiel, wenn die zugelassenen Krebsmedikamente nicht mehr wirken oder weil diese vom Patienten nicht vertragen werden. Oder wenn eine Krebserkrankung so selten ist, dass eventuell noch kein zugelassenes Arzneimittel zur Verfügung steht. In bestimmten Fällen besteht dann die Möglichkeit, in Deutschland nicht oder noch nicht zugelassene wirksame Medikamente für Patienten über ein „Off Label“-Verfahren zugänglich zu machen erklärt Oberärztin und Onkologin Sabine Hainke.
Unter „Off-Label“ wird der Einsatz eines Arzneimittels außerhalb (in Deutschland) zugelassener Anwendungsgebiete verstanden. Dies ist zwar grundsätzlich erlaubt, allerdings ist eine Off-Label-Behandlung keine Regelleistung der GKV. Dazu kommt, dass solche Therapien oft sehr teuer sind und schnell in die Hunderttausende gehen können, speziell in der Onkologie. Um eine Off-Label-Behandlung bezahlt zu bekommen, muss bei der GKV ein Antrag mit einer medizinisch und wissenschaftlich fundierten Begründung für die beabsichtigte Therapie gestellt werden. Die GKV leitet im Regelfall den Antrag an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weiter, der ein sozialmedizinisches Gutachten erstellt. Die GKV richtet sich bei der Annahme/Ablehnung des Off-Label-Antrages nach diesem Gutachten. Bei einer Ablehnung, die leider relativ häufig der Fall ist, kann aber mit relativ guten Chancen ein Widerspruchsverfahren angestrebt werden. Weil der geschilderte Prozess komplex und sehr aufwändig ist, scheuen viele Ärztinnen und Ärzte eine Off-Label-Behandlung.
Um ihren onkologisch erkrankten Patientinnen und Patienten eine optimale Betreuung bieten zu können, hat die onkologische Ambulanz im GPR Klinikum nun die Off-Label-Beantragung als festen Bestandteil therapeutischer Optionen eingeführt. In den vergangenen sechs Monaten wurden bereits für 16 Patienten Anträge gestellt. Davon wurden bislang zehn Anträge bewilligt und drei abgelehnt, während sich drei noch in laufenden Verfahren befinden.
Eine genaue Diagnostik ist besonders wichtig, um den onkologisch erkrankten Patienten das nach den Leitlinien wirksamste Medikament verabreichen zu können. Modernste Krebs-Therapien greifen zielgerichtet die Schwachpunkte von Krebszellen an. Dies setzt natürlich die genaue Kenntnis der Schwachpunkte und damit eine spezifische molekulare Diagnostik voraus. Aufwändige und teure molekulare Untersuchungen sollen helfen, Krebs-Therapien individuell auf die Patienten zuzuschneiden. Leider sind diese Untersuchungen ebenfalls nicht automatisch Regelleistungen der Krankenkassen und werden daher gar nicht oder nur zum Teil bezahlt. Es gibt aber öffentlich – und zum Teil privatwirtschaftlich – geförderte Diagnostik-Projekte, in die onkologisch erkrankte Patienten unter bestimmten Umständen eingeschlossen werden können. Für diese Patienten ist die Untersuchung dann kostenfrei. Auch hier konnte die Kooperation zwischen onkologischer Ambulanz und der GPR-Zentrale für klinische Studien zur Verbesserung der Patientenversorgung beitragen.
„Die Therapie- und Diagnostikoptionen für Patientinnen und Patienten mit onkologischen Erkrankungen haben in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Das GPR Klinikum partizipiert natürlich auch von diesen Entwicklungen. In diesem Jahr konnte die Teilnahme an mittlerweile drei geförderten Diagnostik-Projekten am GPR Klinikum etabliert werden. Bislang profitierten so über 40 onkologisch erkrankte Patienten von einer molekularen Diagnostik auf dem fachlich höchst verfügbaren Niveau“, sagt Achim Neyer, der Geschäftsführer des GPR Gesundheits- und Pflegezentrums Rüsselsheim
Joachim Haas