Start Gesellschaft „Kleine blaue Flämmchen, die aus der Synagogenkuppel kamen“

„Kleine blaue Flämmchen, die aus der Synagogenkuppel kamen“

Mombach – In der Nacht vom 9. auf den 10. November jährt sich zum 80. Mal der Tag, den die Menschen nicht vergessen sollten. Die Pogromnacht. In Mombach lebt ein Zeitzeuge, der die Erinnerung vom Tag danach bewahrt. Er hat ihn als Teenager erlebt. Es sind nur Fragmente, die wie eine Warnung vor vergleichbaren Untaten klingen.

Robert Holl ist heute 95 Jahre alt. 1938 hat er das zarte Alter von fünfzehn Jahren erreicht und bei einer Firma in der Boppstraße eine Ausbildungsstelle gefunden. Die Chefetage: „Alles SS- und SA-Leute“, sagt er. „Wenn sie gewusst hätten, dass mein Vater Mitglied bei der SPD war, hätte ich nie die Lehrstelle bekommen.“

Aus dem Stadtarchiv Rüdesheim ist eine interessante Mainz betreffende Notiz bekannt. „Noch am Abend des 9. November 1938 ging von der Münchner SA-Zentrale der Befehl aus, alle Synagogen in Deutschland zu zerstören. Wenige Minuten später erreichte dieser Befehl über die SA-Gruppe Kurpfalz in Mannheim dann die SA-Brigade 150 in Mainz“, so der Archivar Rolf Göttert.

Am 10. November erscheint Holl wie gewohnt zur Arbeit. Es ist Samstag. Irgendwann am Vormittag reizt etwas seinen Riechsinn. „Es hing ein seltsamer Geruch in der Luft“, erinnert er sich. „An einen Brand hat man da nicht gedacht.“ Er fährt mit der Erzählung fort. Die Monteure, die nach dem Außeneinsatz in die Firmenwerkstatt zurückkehren, liefern die Erklärung ab. „Ei, was ist denn da los?“ „Ei, die Synagoge brennt.“ Holl will hin. Er weiß aber, dass er erst den Feierabend abwarten muss. „Um fünf Uhr fuhr ich mit dem Fahrrad zur Hindenburgstraße.“ Von der Boppstraße ein Katzensprung. Als er ankommt, sieht er „Menschen in fünf oder sechs Reihen, die hintereinander vor der Synagoge im Halbkreis“ stehen. Durch die Polizei auf Abstand gehalten. Auf dem Eingang zur Synagoge, „einem kleinen Säulengang“, sieht er, wie SA-Leute „rein und raus, rein und raus laufen, es ging andauernd so“. Und ziemlich laut seien sie auch gewesen. Am Gebäude außen fällt nichts auf. Holl nimmt „keinen Riesenbrand“ wahr, dafür „kleine blaue Flämmchen, die aus der Kuppel“ kommen. Zwei Feuerwehrwagen in Habachtstellung „mit ausgelegten Schläuchen“ sollen womöglich „verhindern, dass das Feuer übergreift“.

Die Menschen vor der Synagoge bleiben „verhalten“, sagt Holl. „Zu größeren Protesten ist es nicht gekommen. Wahrscheinlich wurden solche Leute gleich abgegriffen“. Nichtsdestominder bestimmt ein „Geraune“ die Lage vor dem jüdischen Gottteshaus. „Die meisten Leute sind sicher auch nicht damit einverstanden gewesen, was passiert ist“, vermutet Holl. „Sie haben sich zurückgehalten.“ Irgendwann geht Holl dann nach Hause. Hier endet seine Geschichte. „Was sollte ich dort?“, beendet er mit einer rhetorischen Frage seine Erzählung.

Die Hauptsynagoge von Mainz wurde am 17. November auf Anordnung des Bauamts gesprengt.