VG RHEIN-SELZ – Wachsende Aufgaben und Anforderungen, fehlende Unterstützung von übergeordneten Stellen und jetzt auch noch eine neue Finanzpolitik des Landes und eine Neuausrichtung der Kommunalaufsicht: Für viele ehrenamtlich tätige Funktionsträger ist das alles eine unbefriedigende bis hin zu frustrierende Situation – wir haben bereits mehrfach darüber berichtet.
Im Kreis Germersheim, genauer gesagt in der Ortsgemeinde Freisbach, ist die Situation jetzt eskaliert. Dort ist der gesamte Gemeinderat inklusive des Bürgermeisters zurückgetreten, weil sie aufgrund der belastenden Situation nach eigenen Worten „den Auftrag der Wähler nicht mehr ausführen können.“ (Ortsbürgermeister Peter Gauweiler) Ein einmaliger Vorgang und – als ob wir davon nicht schon genug haben – ein deutliches Alarmsignal für unsere Demokratie.
Wir haben einmal in den Rathäusern der Verbandsgemeinde nachgefragt, ob eine solche Eskalation auch dort denkbar wäre. Leider haben nur wenige Bürgermeister:Innen auf unsere Anfrage reagiert: Wir hoffen, dass dies der Ferien- und Urlaubszeit geschuldet ist und sie nicht auch schon zurückgetreten sind.
Denn die Fakten sind eindeutig: den Kommunen werden immer neue Aufgaben verpflichtend übertragen, ohne dass eine ausreichende Gegenfinanzierung gesichert ist. Als Beispiel sei hier der Rechtsanspruch auf die Kinderbetreuung genannt. Das reißt häufig riesige Löcher in den Haushalt. Gleichzeitig wird die Ehrenamts- und Sportstättenförderung eingestellt und die Umlagen an die übergeordneten Verwaltungsebenen zur Wahrnehmung delegierter Leistungen erhöht. In der Praxis häufig bis zu 80 % der vor Ort erwirtschafteten Steuern.
Hilfe vom Land? Sollen doch die Kommunen zunächst einmal selbst die Einnahmeseite verbessern und dabei alle Möglichkeiten ausschöpfen, wird von dort gebetsmühlenartig argumentiert. Zum Beispiel durch Steuererhöhungen. So geht dann noch mehr Geld an die übergeordneten Stellen, ohne dass die Handlungsfähigkeit der Kommunen damit erhöht wird. Die entstehende Kritik in der Bürgerschaft an diesen Maßnahmen verbleibt allerdings meist vor Ort.
Ein weiterer Vorschlag aus dem Innenministerium zur Verbesserung der Einnahmeseite ist die Ausweisung von Gewerbeflächen. Umsetzbar? Jochen Schmidt, Stadtbürgermeister von Nierstein, sucht dazu noch immer nach geeigneten Flächen in seiner Stadt. Und sollte er sie tatsächlich finden, sind erst einmal hohe Investitionen nötig – vom Grundstücksankauf über die Planungs-, Entwicklungs- und Gutachtenkosten bis zur endgültigen Erschließung – bevor überhaupt Einnahmen generiert werden können. Investitionen, die allerdings nicht möglich sind, wenn die Haushalts- und Kassenlage es nicht zulässt oder die Kommunalaufsicht den Haushalt nicht genehmigt. Ein Teufelskreislauf.
Für die ehrenamtlich Aktiven in den Kommunen, den Keimzellen gesellschaftlichen Lebens, ist die aktuelle Situation ein großes Dilemma. Statt zu gestalten, müssen sie den Mangel verwalten und werden bei allen angestrebten Vorhaben zu Bittstellern. Ehrenamtliche politische Arbeit wird mit einer solchen Politik mit Sicherheit nicht gefördert, oder wie es ein Bürgermeister ausdrückt: Wenn alle „Neulinge“ wüssten, was auf sie zukommt, würde sich keiner mehr aufstellen lassen.“
Alles in allem also keine gute Entwicklung und keine guten Aussichten für unser Gemeinwesen. Hoffen wir also, dass es nicht so weit kommt wie in Freisbach.
Michael Türk