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Kleines, aber feines Konzert in evangelischer Kirche BEGEGNUNGEN >>>Die international renommierte Musikerin Estelle Revaz beeindruckt mit ihrem Cello

Etwa 50 Besucher hören dem Konzert der Cellistin Estelle Revaz gespannt zu. Foto: Felix Werner

NIEDER-OLM – Eine Kirche ist ein Gotteshaus und in Gotteshäusern wird üblicherweise gebetet. Doch die Nieder-Olmer Musikschule hat aus einem anderen Grund in die Evangelische Kirche eingeladen. An diesem Abend gibt es keine Predigt auf die Ohren, nur das Cello von Estelle Revaz ist zu hören. Doch bevor man die Cellistin vorne auf dem Stuhl vor dem Altar erblicken kann, hat Jens Klaassen das Wort. Er leitet die Musikschule der Verbandsgemeinde Nieder-Olmer, die den Auftritt von Revaz im Rahmen der Veranstaltungsreihe „begegnungen“ organisiert hat. Der erste Auftritt der Reihe war ein Jazz-Abend, erzählt er, nun gebe es mit dem Cello einen abwechslungsreichen Kontrast.

Und selbst als Revaz Platz nimmt, müssen sich die etwa 50 Nieder-Olmer noch etwas auf das virtuose Spiel des kleinen Streichinstruments gedulden. Davor hält Revaz nämlich noch eine kleine Führung durch die Geschichte des Cellos, welches auch als kleine Bassgeige bekannt ist. Denn das Cello war nicht immer ein gleichberechtigter Teil der Streicherfamilie, ursprünglich wurde es im 16. Jahrhundert in Italien entwickelt und hauptsächlich als Begleitinstrument gespielt. Erst mit Johann Sebastian Bach rückt das Instrument dank seiner Cello-Suiten als Soloinstrument in den Vordergrund, Beethoven konzentrierte sich später in seinen Sonaten auf die gleichberechtigte Stellung von Klavier und Cello und läutete damit endgültig eine neue Ära für die musikalische Verwendung des Instruments ein.

Nach dieser kurzen, aber aufschlussreichen Lehrstunde setzt Revaz den Bogen an ihr Cello, das selbst ein kleines Stück Geschichte ist. 1679 wurde es gebaut, zu einer Zeit, in der Pferdekutschen noch das Haupttransportmittel und Holz wie Muskelkraft die hauptsächlichen Energiequellen waren. Und auch das musikalische Vorbild von Revaz‘ Konzert ist schon einige Jahrhunderte alt; Giuseppe Marie Clemens Dall‘ Abaco, ein italienischer Cellist aus dem 18. Jahrhundert, hat ihr als Inspiration für ihr mittlerweile sechstes Album gedient. Revaz fasziniert die Zuschauer mit Dall‘ Abacos sogenannten Capriccios: so werden die kleinen, aber feinen Verstöße gegen die Konventionen des Cellospiels genannt, die besonders viel Kreativität und Können abverlangen. Bei den Zuschauern kommt das an. Den langen Applaus am Ende hat sie sich mehr als verdient.

Revaz ist übrigens nicht nur eine Virtuosin am Cello, sondern auch politisch wie beruflich sehr engagiert. Die Schweizerin sitzt nämlich in ihrer Heimat für die sozialdemokratische Partei im Nationalrat, unterrichtet zusätzlich als Dozentin Violoncello und Kammermusik an der Fachhochschule in Zürich. Seit 2015 ist sie außerdem als Mitglied der „Forum des 100“ eine von hundert Personen, die die Zukunft der Schweiz repräsentieren. Ende vorletzten Jahres erschien außerdem ihre Autobiografie mit dem vielversprechenden Namen „La Saltimbanque“: Gauklerin. Die Anspielung an die geschickten Kunststücke einer Artistin passt zu ihrem technischen Können, mit dem sie in Nieder-Olm bestens unterhalten konnte.

 

Felix Werner