Start Hessen Vom Krüppelheim zur inklusiven Einrichtung

Vom Krüppelheim zur inklusiven Einrichtung

Foto: privat

Hochheim. (ue) Über die mehr als 100jährige Geschichte des Antoniushauses berichteten Anna Kommmerscheidt und Helge Blüm als langjährige Mitarbeiterinnen des Antoniushauses im Rahmen eines Vortrages bei der Arbeitsgemeinschaft Alt-Hochheim. Grundlage bildeten deren umfangreiche Recherchen in der Haus-Chronik, die mit dem Segenswunsch beginnt  „Mit Gott! Jesus, Maria, Joseph, Antonius“.

Anno 1906 zum Anlass der silbernen Hochzeit von Kaiser Wilhelm II  und  Augusta Victoria erklärten die Majestäten, sie würden keine Geschenke sondern nur  Stiftungen zu wohltätigen Zwecken annehmen.  Der Bischof von Limburg erließ daher den Aufruf, Gaben zur Verfügung zu stellen zur Errichtung eines Krüppelheimes in seiner Diözese. Gespendet wurden ca. 30.000 Mark. Da diese  Summe nicht ausreichend war bat Rektor Sommer als Gründer der Katholischen Josef-Gesellschaft  (1904) den Bischof ihm die Summe zur Errichtung und Mitfinanzierung einer solchen Anstalt zur Verfügung zu stellen. Die Wahl viel auf Hochheim.

Trotz erheblicher Widerstände in der Bevölkerung und auf politischer Ebene konnten Grundstücke gekauft werden.1910 wurde der Gesellschaft eine Villa mit Park eines John Spindler angeboten und auch gekauft. Die Arbeit des Antoniushauses konnte beginnen. Wiederum gegen Widerstände wurde letztlich christl. Schwestern von der Barmherzigkeit aus Eichsfeld, den „Heiligenstadter Schwestern“,  die Erlaubnis zur Pflege erteilt. Man widmete sich hauptsächlich der Pflege gebrechlicher, altersschwacher, gelähmter und unheilbarer Personen. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde Nutzvieh angeschafft und  auf dem großen Gelände Acker- und Obstbau betrieben.

Eingeweiht im Jahre 1912 hatte sich bereits 1914/15 die Anzahl der Bewohner auf nach und nach 49 Personen erhöht und es wurden weitere Schwestern zur Unterrichtung in Handarbeiten und Handelslehre zugezogen. Im 1. Weltkrieg (19014-18) wurden sogar Unterkleider, Hemden, Strümpfe etc. als Kriegshilfe ins Feld geschickt.

Nach dem Krieg war die Versorgungslage wie überall in Zeiten der großen Inflation und der folgenden Weltwirtschaftskrise sehr schlecht und es folgten harte Zeiten für das Antoniusheim. Man  musste sich hauptsächlich von den selbst angebauten Erzeugnissen ernähren. Einnahmen kamen auch aus Handarbeitstätigkeiten für viele Kunden.

Im Laufe der Jahre entsprachen die Räumlichkeiten nicht mehr den Anforderungen.  Es wurde Mitte der Zwanziger Jahre angebaut und erweitert, z.B. größere Arbeitszimmer und  ein Speisesaal wurde geschaffen. Es war mehr als schwierig an Geld zu kommen und es dauerte auch seine Zeit bis der Umbau fertig war.

In den dreißiger Jahren wurde der Ausbildung der „Zöglinge“  immer größere Aufmerksamkeit gewidmet. Deren Zahl war inzwischen auf  90 Personen angewachsen. Es wurden jetzt Prüfungen im Weißnähen, Kleiderschneidern, Stickereien etc. abgenommen. Gearbeitet wurde überwiegend auf Bestellung. Außerdem fanden im  Dezember Handarbeitsausstellungen mit Verkauf statt, die so gut besucht wurden, dass man sie über Jahrzehnte fortgeführte.

Im Jahre 1931 wurde Hochwürden Peter Josef Briefs als Leiter des Antoniushauses eingesetzt, das er bis zu seinem Tode im Jahre 1960 führte. Ihm wird zugeschrieben, dass in der Hitlerzeit keine der betreuten Personen zu Schaden kamen. Die heutige  Förderschule im Antoniushaus ist nach ihm benannt.

1939 schon zu Beginn des zweiten Weltkrieges musste das Antoniushaus geräumt werden Die Pfleglinge wurden entweder verlegt oder nach Hause entlassen, da es als Hilfskrankenhaus der Stadt Mainz benötigt wurde. Nach kurzer Zeit konnten die Ausquartierten wieder zurückkehren, mussten aber eng zusammenrücken, da ständig 50 Plätze für die Belegung von Verletzten aus der Stadt Mainz oder für den Katastrophenfall frei zu halten waren. Ganz schwierig wurde es, als im Oktober 1944 nach Brandschäden die gesamte Kleinkinderklinik des Mainzer Städtischen Krankenhauses mit 117 Kindern und 30 Mann Personal – neben den eigenen Pfleglingen – hier eine Weile aufzunehmen waren. In den Werkstätten wurde viel für die „Reichswollsammlung“ gearbeitet, um die Soldaten an der Ostfront mit warmen Wintersachen zu versorgen. Während des Krieges entstanden keine großen Schäden an den Gebäuden.

Nach Kriegsende konnten die vorübergehend evakuierten Pfleglinge wieder zurückgeholt werden und man widmete sich wieder ganz der Aufgabe der Berufsaubildung der körperbehinderten Menschen. 1952 beim 40 jährigen Bestehen konnte man darauf verweisen, dass in der zurückliegenden Zeit sogar 421Jugendliche eine Abschlussprüfung machten. Im gleichen Jahr konnte ein schon lange erforderlicher Erweiterungsbau fertig gestellt und bezogen werden.

In sich verändernden Anforderungen und bei starkem Bedarf begann 1968 der Bau der Sonderschule mit Internat.

In den 70er Jahren  veränderte sich die Entwicklung der verschiedenen Schulen erheblich. Es wurden keine praktischen Berufe (Schneiderberuf etc.) mehr  ausgebildet. 1979 wurden erstmals Jungen aufgenommen – aber nur als externe Schüler. 1982 erfolgte dann der  erste Spatenstich für die Förderschule mit Internat, die Josef Briefs Schule. Heute werden etwa 200 Schüler unterrichtet.

1988 ging eine Ära zu Ende. Der noch verbliebene kleine Konvent der Heiligenstadter Schwestern wurde nach 75-jähriger Tätigkeit verabschiedet. Das Antoniushaus war zu einem der großen Arbeitgeber Hochheims herangewachsen.

Bis heute wurde das Schulsystem weiter ausgebaut und differenziert. Zusätzliche Bauten, wie eine Sporthalle, ein Schwimmbad oder eine allgemein offene Cafeteria, sind geschaffen worden. Überhaupt stehen die Tore offen.

Der Umgang zwischen den Bewohnern und den Hochheimern ist vertraut geworden. Man begegnet sich ständig in der Stadt und bei Veranstaltungen. Ein Paradebeispiel ist der gemeinsame 24-Stunden-Lauf, der dieses Jahr am 25. und 26. Mai zum zwölften mal stattfindet und tausende Besucher anzieht. Aufgrund der immensen Spendenbereitschaft konnte aus den Veranstaltungserlösen schon eine ganz Flotte von behindertengerechten Transportfahrzeugen angeschafft werden.

Die zahlreichen Zuhörer verabschiedeten die beiden Referentinnen mit großem Applaus für ihren hochinteressanten und gekonnt vorgetragenen Vortrag.