
NIERSTEIN – „Flüchten oder standhalten?“ Diese Frage stellte sich das Ehepaar Sylvia Catharina Hess (Malerin) und Prof. Harald Braem (Dipl. Designer und Buchautor) am 19. September 2021. An diesem Tag nämlich brach am Westhang des Höhenrückens vom „Cumbre Vieja“, West-La Palma, ein Vulkan aus. Moderiert durch Gastgeber Eckhard Meier-Wölfle in dessen Atelier berichtete Braem vor zahlreichen Zuhörern über dieses gewaltige Naturereignis.
Die Einheimischen bezeichnen den Monat September als „la bonanza“. Es herrscht Meeres- und Windstille, die Passatwinde wehen schwach. Man sitzt auf dem Balkon der Finka und lauscht dem Gezwitscher der Vögel. Plötzlich ertönt ein zunächst nicht verortbares Dauerdonnern, vergleichbar mit dem Startgeräusch eines Jets, und ein Atompilz-ähnliches Gebilde schießt in die Höhe. Alles fängt an zu wackeln und zu vibrieren. Erste Risse bilden sich in den Mauerwänden. So schilderten die beiden Wahlinsulaner ihre ersten Eindrücke der dreimonatigen Vulkanaktivität. Ihre Finka befindet sich ca. 10 Kilometer nordwestlich des Cumbre, quasi ein Logenplatz zur Ausbruchsstelle.
Aber beim Beobachten blieb es leider nicht. Der Schlot spie ohne Unterbrechung Tonnen und Abertonnen graue Asche und schwarzen Sand aus, die alles in großem Umkreis zudeckten. Hand anlegen war angesagt: im beständigen Wechsel wurden zunächst die Wege von der grau-schwarzen Masse freigeschaufelt und dann die Pflanzen mit dem eilig erworbenen Laubbläser von ihrer Last befreit. Auch das Dach musste überprüft werden. „Und diese Arbeiten geschahen unter beständigem Vibrieren des ganz Körpers. Nachts wackelte das Bett, einmal gepaart mit solch heftigen Erdstößen, dass wir panisch unter Todesangst aus dem Haus rannten, weil wir dachten, es bräche über uns zusammen. Dort hörten wir dann das Donnern und Brüllen des Vulkans, rochen die schwefelhaltigen Gase und sahen den rotglühenden Lavastrom, der sich unter gewaltigen Explosionen in das Meer ergoss“, berichtete Harald Braem, immer noch berührt von dem Urerlebnis.
Und am nächsten Morgen? Gingen die Aufräumungsarbeiten wieder von vorne los, bis zum 13. Dezember 2021, an dem die vulkanischen Aktivitäten offiziell für beendet erklärt wurden. Jetzt zeigte sich das ganze Ausmaß der Verwüstungen. Das Vulkänchen, bisher noch ohne Namen, war in knapp drei Monaten um 600 Meter in die Höhe gewachsen. Über 1.000 Hektar Fläche waren mit Asche, schwarzem Sand und Lava bedeckt. Letztere ist unter der Oberfläche noch hunderte Grad Celsius heiß. Wegen des Ausströmens giftiger Gase sind bis heute die am meisten betroffenen Orte Puerto Naos und La Bombilla evakuiert. 1.600 Gebäude, davon 1.300 Wohnhäuser, liegen unter dem vulkanischen Auswurf begraben. Der Ort Todoque ist ausgelöscht. 370 Hektar Bananenplantagen sind zerstört, neben dem gänzlich ausgebliebenen Tourismus die Haupteinnahmequelle der Insulaner.
„Die Solidarität der Menschen untereinander ist enorm groß“, beobachtete Braem, von den Einheimischen liebevoll als „Inselautor“ bezeichnet. Etwa ein Jahr zuvor, er saß gerade an seinem neuesten Buch, wurde er nachts von immer wiederkehrenden Albträumen und Visionen geplagt, die das Herannahen dieser Urgewalt voraussahen. Diese verarbeitet er in „Der die Adler sieht“ (Elvea Verlag). Das Buch erschien im Juli 2021, drei Monate, bevor die schlimme Vorahnung Wirklichkeit wurde.
Informationen zum Autor unter www.haraldbraem.de
Ulrich Nilles