Seit mehr als 60 Jahren bringen die Internationalen Tage Ingelheim Kunst und Kultur in die Stadt am Rheinknie. Ausgangspunkt für das Kulturengagement von Boehringer Ingelheim war 1959 die Idee, als international tätiges Unternehmens Ausblicke auf Leben und Kultur anderer Nationen und Völker zu stiften. Bereits nach wenigen Jahren wurden Kunstausstellungen zum Kern des Kulturfestivals. Seit zehn Jahren ist der Kunsthistoriker Dr. Ulrich Luckhardt Leiter des Kulturfestivals. Zum Ende des Jahres geht er in den Ruhestand.
Mein Ingelheim: Sie waren Kurator an der Hamburger Kunsthalle. Womit konnte Hubertus von Baumbach, der Urenkel des Firmengründers Albert Boehringer, Sie 2012 von der Millionenstadt an Elbe und Alster in die Kleinstadt am Oberrhein locken?
Dr. Ulrich Luckhardt: Da ich François Lachenal, den Mit-Gründer der Internationalen Tage, und Patricia Rochard, meine Vorgängerin, kannte und wusste, auf was ich mich einlassen würde, musste Herr von Baumbach nicht locken. Gefragt zu werden, war schon Verlockung. Aber im Ernst: Die Möglichkeit, völlig frei Ausstellungsprojekte zu entwickeln, und dabei nicht ständig wegen Finanzierungsfragen die Schere im Kopf haben zu müssen, war eine ganz einmalige Situation. Und das hat vom ersten Tag an viel Spaß gemacht. Den Schritt nach Ingelheim zu kommen habe ich keine Sekunde bereut.
Mein Ingelheim: Ihre erste Ausstellung 2013 im Alten Rathaus, heute „Kunstforum Ingelheim – Altes Rathaus“, trug den Titel „Wortkünstler – Bildkünstler. Von Goethe bis Ringelnatz. Und Herta Müller“. Was bewegte Sie zu diesem Thema?
Dr. Ulrich Luckhardt: Mich haben immer schon interdisziplinäre Projekte interessiert. Schriftsteller, die auch bildkünstlerisch tätig waren, wollte ich immer mal ausstellen. Sozusagen ein Traum von mir. Und dann noch mit Herta Müller eine Literaturnobelpreisträgerin zeigen zu dürfen, war ein großes Glück.
Mein Ingelheim: Zumeist stand bei den Ausstellungen der Internationalen Tage unter Ihrer Leitung Gemaltes oder Gezeichnetes im Zentrum des Geschehens. Aber nicht immer.
Dr. Ulrich Luckhardt: Mit dem Videoprojekt „Besser scheitern“ haben wir 2016 aus der Not eine Tugend gemacht, indem wir während der Umbauphase mit zeitgenössischer Kunst ins Stadtzentrum gekommen sind. Zur Wiedereröffnung 2018 haben in der Skulpturenausstellung die Kunstwerke und die neuen Räume mit ihren Öffnungen nach draußen eine überraschende Symbiose ergeben.
Mein Ingelheim: Wann ist für Sie persönlich eine Ausstellung besonders gelungen? An welchen Kriterien machen Sie das fest? Und die Resonanz auf welche Ausstellung hat Sie am meisten überrascht?
Dr. Ulrich Luckhardt: Wenn Besucher überrascht oder positiv auf eine Ausstellung reagiert haben, war das ein Gradmesser, den ich bei meinen Kuratorenführungen immer gespürt habe. Die „Vergessene Moderne“ war ein wichtiges Projekt, da die Besucher dort viele positive Entdeckungen machen konnten.
Mein Ingelheim: Was haben Sie in diesem, Ihrem letzten Jahr als Leiter der Internationalen Tage noch vor?
Dr. Ulrich Luckhardt: Ernst Ludwig Kirchner als einen der bedeutendsten deutschen Künstler des frühen 20. Jahrhunderts in Ingelheim präsentieren. In einer sehr persönlichen Fokussierung auf fünf Werkkomplexe, die die wichtigsten Stationen seines künstlerischen Arbeitens und seines Lebens abbilden.
Mein Ingelheim: Was ist Ihr Lieblingsplatz in Ingelheim als Stadt? Und was werden Sie vermissen, wenn Sie nach Hamburg zurückkehren und Ihren Ruhestand genießen?
Dr. Ulrich Luckhardt: Lieblingsplatz ist natürlich das sanierte und erweiterte Kunstforum Ingelheim, das ein echtes Schmuckstück geworden ist. Dazu muss man der Stadt und der ganzen Region gratulieren. Dass ich dazu betragen konnte, erfüllt mich mit Freude. Vermissen werde ich natürlich meine Mitarbeiter, die Ausstellungsbesucher und die Weinberge.
Autor: Red