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Ein Gewinn und keinesfalls zusätzliche Last INTERVIEW » Mit Pfarrer Thomas Schwöbel von der Evangelischen Kirchengemeinde Bodenheim - Nackenheim

Pfarrer Thomas Schwöbel in der evangelischen Kirche Bodenheim - Foto: Ulrich Nilles

BODENHEIM/NACKENHEIM – Das dritten Jahr der Pandemie ist angebrochen. Zum zweiten Mal begeht die christliche Kirche die Passionszeit in dieser Ausnahmesituation. Dazu Pfarrer Thomas Schwöbel von der Evangelischen Kirchengemeinde Bodenheim – Nackenheim.

Frage: Corona setzt dem öffentlichen Leben Grenzen. Fastnacht fällt erneut aus. Kann man den Menschen in dieser Situation noch mehr Verzicht zumuten?

Pfarrer Thomas Schwöbel: Ins Verzichten haben wir uns tatsächlich in den vergangenen zwei Jahren einüben müssen. Es verlangt uns viel ab, hat aber sicher eine große Zahl an Menschen vor schwerer Erkrankung oder Sterben bewahrt.

Die Passionszeit, die wir Christen begehen, will keine zusätzliche Last in dieser schon belasteten Zeit sein, sondern ganz im Gegenteil: Sie will Freiheit schenken. Ich kann mich für eine begrenzte Zeit herausnehmen aus meinen Alltagsabläufen, anders leben und ermutigende Erfahrungen machen. Es gelingt mir, ohne dies oder jenes auszukommen, ich finde Zeit, um mir über mein Leben, über meinen Glauben, über die Themen, die unsere Gesellschaft und unsere Welt bewegen, Gedanken zu machen. Die Passionszeit ist für mich eine Phase der Standortbestimmung, die mir hilft, zuversichtlich, verantwortungsvoll und gestärkt durch den Glauben weiter zu gehen. So ist sie Gewinn, nicht zusätzliche Last.

Frage: Welche Bedeutung hat das christliche Fasten in unserer säkularisierten Welt?

Pfarrer Thomas Schwöbel: Christsein bedeutet für mich: In Verantwortung vor Gott, meinen Mitmenschen und unserer Schöpfung zu leben versuchen. Die Passionszeit mit ihrer zentralen Erfahrung, dass weniger mehr sein kann, zeigt uns da einen verantwortlichen Weg. Stetiges Wachstum ist kein biblisches Prinzip. Teilen und Einteilen aus Liebe und Achtung gegenüber Mitmenschen, gegenüber der Schöpfung und dem Schöpfer ist das, wozu uns die Botschaft Jesu einlädt. Und hier nicht locker zu lassen, sondern auf das Teilen und Verteilen hinzuweisen, das ist meines Erachtens auch eine Art des Fastens und eine Aufgabe dieser Zeit.

Frage: In den Anfängen des Christentums aß man 40 Tage kein Fleisch, trank keinen Wein und hatte nur eine Mahlzeit am Abend. Gibt es heute Alternativen dazu?

Pfarrer Thomas Schwöbel: Natürlich. Schon viele Jahren bieten beide Kirchen besondere Fastenaktionen an. Das kann vom Schokoladefasten über das Autofasten bis zum Verzicht aufs Internet alles sein. Auch auf bestimmte Denkmuster und Verhaltensweisen kann man zu verzichten versuchen, z.B. 7 Wochen ohne Ausreden. Versuchen Sie das mal.

Egal, was man wählt: Ich sollte mich dabei nicht nur um mich selbst drehen, sondern es sollte auch ein Gewinn für andere sein und als Christ ergänze ich, es sollte meine Bindung an Gott stärken.

Frage: Wie gestaltet Ihre Gemeinde 2022 die österliche Bußzeit?

Pfarrer Thomas Schwöbel: Gemeinsam mit unseren katholischen Geschwistern bieten wir sogenannte Früh- und Spätschichten an. Dies sind Andachten, die wir morgens ganz früh vor dem Arbeitstag oder abends am Ende eines Tages zusammen feiern, um unserem Glauben und unserer Gemeinschaft auch unter der Woche und in unseren Alltag zusätzlich Raum zu geben. Wer Lust hat, zu kommen, findet Orte und Uhrzeiten auf unseren Homepages.

Das Interview führte Ulrich Nilles