Start Gesellschaft Heilige mit goldenem Schuh am Kreuz Elsheim bewahrt Spuren einer erloschenen Volksfrömmigkeit

Heilige mit goldenem Schuh am Kreuz Elsheim bewahrt Spuren einer erloschenen Volksfrömmigkeit

Die Heilige am Kreuz mit Bart und goldenem Schuh. Bild: Gregor Starosczyk-Gerlach

STADECKEN-ELSHEIM – Hajo Stenger arbeitet an der Erforschung seiner Heimatpfarrei in Elsheim. Bis zu seiner Pensionierung 2007 war der Diplomtheologe und promivierte Pädagoge Lehrer im Staatsdienst. Jetzt bringt er interessante, historische Einzelheiten über die Pfarrei und vor allem die Kirche St. Walburga in Elsheim ans Licht. An einigen spannenden Punkten stehen Frauen. Genau genommen seien es „drei Frauen, die in Elsheim besondere Assoziationen wecken“, erzählt Stenger und nennt ihre Namen: „Walburga, Ursula und Wilgefortis“. Während Ursula und Walburga historisch nachweisbare Persönlichkeiten in der Zeit bis vor der Jahrtausendwende gewesen seien, gehöre Wilgefortis eher in den Bereich der Legenden. „Trotzdem haben alle drei einen Bezug zu Elsheim.“ In seinem Buch, an dem der Heimatforscher arbeitet, nennt er sie: „Wilgefortis, die Fantastische“. „Das bedeutendste Kunstwerk der Kirche dürfte das Wilgefortis-Kreuz sein.“ Diese wertvolle Plastik befand sich ursprünglich in einer Mainzer Kirche und wurde am Ende des 18. Jahrhunderts nach Elsheim gebracht. „Hier wusste man lange nichts mit der merkwürdigen Figur anzufangen, zumal der männliche Corpus eine Frau sein soll.“ Beim Besuch der Kirche fällt eine goldene Pantolette auf, die die Figur am Kreuz an einem Fuß trägt. Man versteckte die Figur. „Auf Wilgefortis-Bildnisse trifft man auch an anderen Orten in Rheinhessen, so in Mainz-Ebersheim oder Bingen“, erzählt Stenger. Die Legende von der ans Kreuz geschlagenen „starken Jungfrau“, so die lateinische Übersetzung ihres Namens, könnte ein früher christlicher Emanzipationsvorstoß sein, vermutet Stenger. Wilgefortis, als Tochter eines christlichen Königs im Norden Portugals, soll ausgesprochen schön und attraktiv gewesen sein. Zu Beginn des 8. Jahrhunderts hatten die Mauren die iberische Halbinsel erobert. Bei Verhandlungen zwischen dem christlichen König und den arabischen Eroberern, bot der König seine Tochter dem Emir zur Hochzeit an, um die Verwüstung seines Landes abzuwehren. Wilgefortis betete zu Gott, er möge ihr die Schönheit nehmen und ihr einen Bart wachsen lassen. Als der Emir seine so entstellte Braut nach der Rückkehr sah, ließ er sie ans Kreuz schlagen.

Einen anderen Legendenstrang sollen die Gebrüder Grimm in ihre Märchensammlung mit der Geschichte von der heiligen Frau Kümmernis aufgenommen haben, so Stenger. Vergleichbare Bildnisse seien in ganz Mitteleuropa unter ähnlichen Namen oft als Zielpunkt für Wallfahrten und besonderer Verehrungen bekannt gewesen. „Der Wilgefortis-Kult war bis zur Barockzeit ein weit verbreitetes Phänomen und erst 1974 von der katholischen Kirche offiziell als erloschener Kult deklariert worden.“ Laut Stenger seien „Wilgefortis-Darstellungen in der Regel Personen – Männer oder Frauen – am Kreuz mit einem langen Gewand bekleidet, ohne Dornenkrone und ausgeprägte Darstellung der Wundmale“. Seit ihrer Restaurierung 1995 hat die ungewöhnliche Figur der legendären Christin im silbernen Gewand jedenfalls einen festen Platz an der Wand der Elsheimer Kirche.

red