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„Ich bin Meenzer und werde immer Meenzer bleiben“ Künstler aus der Region: Der Comedian Sven Hieronymus

Foto: © Volker Besier / Oly Wahner
Sven Hieronymus lebt mit seiner Frau seit 30 Jahren in Bodenheim. Foto: © Volker Besier / Oly Wahner

BODENHEIM – Die Corona-Krise hat eine Berufsgruppe ganz besonders hart getroffen: Selbständige Künstler*innen, die während des Lockdowns Ausstellungen,  Konzerte und Auftritte absagen mussten und deshalb keinerlei Einnahmequellen mehr hatten. Das Journal LOKAL hat die ansässigen Künstler gefragt, wie es ihnen in den letzten Monaten ergangen ist. Einer von ihnen ist der Comedian Sven Hieronymus, auch bekannt als „Rocker vom Hocker“. Er lebt seit 30 Jahren im Haus seiner Großeltern mitten im alten Ortskern von Bodenheim und genießt zur Freude seiner Frau gerade seine Zeit als Hausmann und Hobbykoch.

Journal LOKAL: Sven Hieronymus, du bist inzwischen weit über die Grenzen des Rhein Main-Gebiets hinaus bekannt und tourst normalerweise an den Wochenenden von einer Show zur nächsten. Wegen der Corona-Pandemie musstest auch du alle Veranstaltungen absagen oder verschieben. Was hast du gemacht während dieser  Zwangspause?

Sven Hieronymus: Erstmal nix. Ich bin wirklich komplett runtergefahren. Ich habe mich beruflich komplett zurückgezogen so gut es ging. Ich habe meine täglichen RPR1-Nummern weiter gemacht und auch weiter meine Late-Night-Show „Rockertreff“ jeden Donnerstag gesendet, was sehr interessant war. Wir durften ja keine Gäste mehr haben, also mussten Dr. Rock und ich die Sendung alleine machen. Am Anfang wussten wir gar nicht, ob wir das machen sollen und wollen, aber es hat sich als Riesenerfolg herausgestellt. Die Leute fanden das viel geiler, wenn wir keine Gäste haben und uns zu zweit die Welt glücklich schwätzen. Ansonsten habe ich mich sehr auf mich und die Familie zurück besonnen. War auch mal wieder eine interessante Erfahrung nach 25 Jahren Ehe, wir haben nämlich jetzt Silberhochzeit im Juli, dass wir wirklich noch aufeinander hocken können und das super funktioniert. Ich bin wirklich runtergefahren, habe angefangen mich mit Menschen zu treffen, mit Paaren, die wir lang nicht mehr gesehen haben, weil ich endlich mal Zeit hatte. Normalerweise spiele ich ja am Wochenende und montags und dienstags können die nie, tagsüber…

JL: Hast du die Zeit auch kreativ genutzt, um neue Texte zu schreiben?

Sven Hieronymus: Dadurch, dass ich ja sowieso jede Woche für RPR1 schreiben muss, schreibe ich ja das ganze Jahr. Es ist nicht so, dass ich mich zum Programm schreiben hinsetze und beim Buchstaben A anfange und ende am Schluss bei Z, sondern ich habe ganz viele Nummern da rumliegen und sage: die ist gut, das ist ein Thema, das du erweitern kannst. Ich habe jetzt schon angefangen mit einem neuen Soloprogramm, was ja nächstes Jahr im Herbst kommt. Man weiß ja nicht, was aktuell ist. Wenn alles gut läuft, kommt das nächstes Jahr im September heraus.

JL: Wie sieht es mit deinen aktuellen Auftritten aus? Musstest du viele Termine absagen?

Sven Hieronymus: Ja, das hat schon ganz schön reingeschlagen, finanziell war das schon ein Desaster, gar keine Frage. Ich habe das Glück, dass ich die letzten Jahre ganz gut verdient und was auf die Seite gelegt habe, ich bin nicht ins tiefe Loch gefallen. Ich habe ja weiter RPR1 gemacht und hatte Glück im Unglück, dass es nicht richtig an die Substanz ging, aber es hat schon Aua gemacht. Uns Künstler hat man komplett allein gelassen, die Solo-Selbständigen. Und auch diese 9000 Euro, die man angeblich bekommt, aber nur für Betriebskosten… wenn du aber keine Betriebskosten hast als selbständiger Künstler mit dem Büro im eigenen Haus, dann ist das schwierig. Da ging es ja nicht darum, wie kompensieren wir eure Einnahmeausfälle, damit ihr wenigstens überleben könnt und diese Argumentation der Bundesregierung, dass den Künstlern immer noch die Grundsicherung bleibt – da musste ich dann mal laut lachen. Ich habe auch der Malu Dreyer geschrieben, dass das ja wohl ein Witz ist. Mit der Grundsicherung kann ich noch nicht mal die Künstlersozialkasse, also die Krankenkasse, abdecken. Ich mache unserer Regierung keinen Vorwurf, das haben die ja auch zum ersten Mal gemacht, die wussten ja auch nicht, wo das ganze endet. Aber man hat uns schon im Stich gelassen.

JL: Was hättest du dir von der Bundesregierung gewünscht ?

Sven Hieronymus: Ich hätte mir schon gewünscht, dass man tatsächlich anhand der Einnahmestruktur gesagt hätte: Für die nächsten zwei Monate bekommst du 50% deines Einnahmeausfalls, von mir aus mit einer Maximalhöhe, damit zumindest die Existenzangst genommen wird. Wenn Kollegen, die nicht so gut verdienen, wenigstens 1500 Euro gehabt hätten, um ihre Miete zu bezahlen und das zu überstehen. Die Arbeiter und Angestellten haben Kurzarbeitergeld bekommen, was von den Firmen meistens noch erhöht wurde und kamen damit ganz gut über die Runden. Aber bei uns Künstlern ist wirklich alles weggebrochen. Und uns dann nur die Grundsicherung anzubieten… das ist ein bisschen schwach.

JL: Der neueste Trend sind gerade Auftritte in Autokinos. Dich konnte man unter anderem im Autokino in Mainz und in Speyer live bewundern. Wie kam das zustande?

Sven Hieronymus: Das haben wir die letzten ein, zwei Monate gemacht, um die Zeit zu überbrücken und wieder das Gefühl zu haben, man geht einem Beruf nach. Das war für mich das Einzige, womit ich ein Problem hatte in dieser Zeit: Mit meinem Selbstverständnis. Wir Kleinkünstler hatten ja kein Berufsverbot im eigentlichen Sinne, aber wir konnten nicht auftreten. Wenn du als Künstler deinem Beruf nicht mehr nachgehen kannst… da musste ich erstmal mit mir selbst ins Reine kommen. Du hast ja eine eigene Wertigkeit als Künstler, und das hat mir schon gefehlt.

Im Autokino bin ich drei oder viermal aufgetreten, aber ich versuche das nicht so oft zu machen. Es soll für die Leute supergeil sein, die Zuschauer waren jedes Mal begeistert, wenn ich gespielt habe, der Sound im Auto ist wohl super, man sieht gut auf der Leinwand. Aber für mich als Künstler… das ist wie Streaming vor Metall. Du hast ja keine Resonanz. Hupen ist keine Resonanz, die man sich wünscht. Klar ist das nett, wenn die dann hupen zwischendrin, aber das hat mit Kleinkunst oder Kabarett und Comedy gar nichts zu tun.

JL: Weil dir der direkte Kontakt zu den Zuschauern fehlt?

Sven Hieronymus: Ja, du hast keinen Kontakt, keine Reaktion, du kannst die Leute nicht anspielen. Mit Kleinkunst hat es nichts zu tun. Ich bin ein Fan von engen Bestuhlungen, du willst schwitzen, die Hitze und die Menschen spüren, da muss was zurückkommen, davon lebst du eigentlich als Künstler. Und nicht davon auf der Bühne zu stehen, ohne Resonanz, die Leute hocken in ihren Karren… das ist ganz komisch. Beim ersten Mal fühlte es sich ganz seltsam an. Die Zuschauer durften hupen, und das haben sie ausgenutzt: Die haben einfach die ganze Zeit durchgehupt. Während ich gesprochen habe. Das war ja nett, weil das Hupen ist ein Zeichen der Anerkennung wie Klatschen, aber mir war nicht klar: Wenn die hupen, hören die mich dann überhaupt noch? Beim zweiten Mal durften die Leute gar nicht hupen, das ist dann noch bescheuerter, weil du dann gar keine Reaktion mehr hast. Beim dritten Mal, das war in Speyer, war es dann voll okay. Dadurch, dass die Sicherheitsmaßnahmen ein bisschen gelockert wurden, sind die Zuschauer dann auch mal aus den Autos ausgestiegen, haben gelacht und mal aus dem Fenster gewunken. Aber auf Dauer ist das keine Lösung. Es war super für den Übergang und ich bin froh, dass die Veranstalter das angeboten haben, aber das möchte ich nicht mein Leben lang machen.

JL: Wie ist deine Beziehung zu deinem Wohnort? Hast du schon immer in Bodenheim gelebt?

Sven Hieronymus: Ich bin eigentlich ein Hexemer Bub. Ich bin in Hechtsheim groß geworden und habe es geliebt. Ich hatte hier eine tolle Kindheit. Man kann ja das Hechtsheim, in dem ich großgeworden bin, nicht mehr vergleichen mit dem heutigen Ort. Da gab es noch kein Gewerbegebiet, kein Mühldreieck, es gab gar nix. Das war ein Kuhdorf. Hinter unserer Sackgasse war freies Feld und Bäume und Wiesen und Fußballplätze, wo wir gekickt haben, bis sie uns den ganzen Ort zugebaut haben.

Nach Bodenheim bin ich vor 30 Jahren gezogen. Das ist das Haus meiner Großeltern. Mittlerweile kann ich sagen, ich bin ein Bodenheimer. Aber ich bin hier halt nicht großgeworden, ich kenne den Ort nicht so gut wie Hexum. Bodenheim ist schon nett, aber wir haben genau das Problem, was Hechtsheim damals hatte: Wir expandieren brutal. Das nimmt diesem Ort den Flair. Das ist wie im Urlaub: ein wunderschöner, einsamer Strand ist nur so lang einsam, wie du die Fresse hältst und keinem davon erzählst, denn sobald du davon erzählst ist der Strand nicht mehr einsam, sondern dann sind da 5000 andere Leute.

Ich bin Rhoihesse und vor allen Dingen bin ich Meenzer und werde immer Meenzer bleiben. Ich fahre mittlerweile auch viel Fahrrad, und immer, wenn ich mit dem Fahrrädche in die Stadt fahre denke ich: Ach, des is moi Stadt. In Mainz fühle ich mich immer noch wohl, geborgen und zuhause und ich bin total froh, dass ich das habe. Ich kenne viele, die das nicht kennen, weil sie immer wieder umgezogen sind. Aber das wäre nix für mich gewesen, dafür bin ich zu sehr Dorftrottel.

JL: Wie wird es nach der Corona-Krise bei dir weitergehen?

Ich glaube, Corona wird nie vorbei sein. Ich glaube, dass entweder der Virus mutiert oder wir in zwei Jahren eine andere Pandemie kriegen. Tatsächlich glaube ich, dass Corona bedeutet: Die Natur schlägt zurück. Plötzlich fliegen keine Flugzeuge mehr, es fahren keine Autos mehr, der CO2-Ausstoß sinkt. Es hat also schon auch viel Positives. Corona wird uns lange Zeit begleiten und ich hoffe, dass die Leute durch die Corona-Krise ein bisschen was gelernt haben: Wir werden uns jetzt  bewusst, was systemrelevant ist. Und systemrelevant sind Pflegeberufe. Da braucht sich keiner aus dem Fenster zu lehnen und zu klatschen. Gebt den Leuten lieber 500€ mehr im Monat.

Wie es bei mir weitergeht? Ich weiß es nicht. Ich plane inzwischen nur noch von Woche zu Woche, von Monat zu Monat und schaue, okay, das kannst du jetzt spielen. Am 3. Juli spiele ich in Bischofsheim mein Soloprogramm „Als ob!“ in einer Halle mit 100 Leuten. Mehr dürfen nicht rein wegen der Abstandsregel. Aber das ist ja auch nicht das Wahre, wenn man meterweit Abstand halten muss zu den anderen Zuschauern. Im Herbst geht es dann richtig weiter. Wenn der so gespielt wird, wie es geplant ist, dann bin ich froh, wenn Weihnachten ist. Aber es kann ja auch passieren, dass der zweite Shutdown kommt, man weiß es ja einfach nicht. Und wenn das dann nur mit Maske geht, das möchtest du als Künstler auch nicht, denn dann siehst du das Lachen der Zuschauer nicht. Dann lieber weniger Leute, dafür ohne Maske. Aber das weiß jetzt noch niemand. Deshalb bin ich echt entspannt auf das was kommt; ich freue mich, wenn ich wieder spielen  und ein bisschen Geld verdienen kann. Ich lasse es einfach auf mich zukommen. Bis dahin plane ich die Silberne Hochzeit mit meiner Frau und perfektioniere meine Kochkünste.

JL: Vielen lieben Dank für dieses sehr offene und ehrliche Interview! 

 

Das Interview führte Natacha Olbrich